Die Nazi-Zeit in Osnabrück und die Erinnerung

Die Osnabrücker Politik des Erinnerns an den deutschen Faschismus ist von zahlreichen Besonderheiten gekennzeichnet. Gleichzeitig fügt sie sich umstandslos in das nationale Projekt der „Wiedergutwerdung der Deutschen“ (Eike Geisel) ein. Ihnen soll aus Anlass des 80. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus nachgegangen werden.

Gedenken

Das betriebsam gedenkende Deutschland widmete sich mit Verve den ermordeten Juden. Später folgten zögernd sukzessive weitere verfolgte, bis in die Gegenwart von der Mehrheitsgesellschaft geächtete und diskriminierte Opfergruppen: Sinti und Roma, Homosexuelle und queere Menschen, die Ernsten Bibelforscher, die sich auch Zeugen Jehovas nannten, sogenannte ‚Asoziale‘, Bettler*innen, Arbeitsverweigerer*innen, Alkoholiker*innen und ‚befristete Vorbeugungshäftlinge‘, die als ‚Berufsverbrecher‘ kategorisiert wurden oder wegen ihres „unmoralischen“ und „asozialen“ Lebenswandels der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ den Behörden ausgeliefert waren. Körperlich und geistig Behinderte wurden sterilisiert oder ermordet. Die Überlebenden saßen in Entschädigungsverfahren ihren Nazi-Ärzt*innen, Richtern und Peinigern erneut gegenüber.

Widerstand

Erst vor kurzem wurden Wehrmachts-Deserteure als Verfolgte anerkannt, während sich die Wehrmachtsoffiziere, die den Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944 unternahmen, in die antikommunistische Formierung und militaristische Aufrüstung des Nachkriegs-Westdeutschlands nahtlos einfügten und als vermeintliche Vorbilder für Widerstand und Demokratie herausgestellt wurden. Ebenfalls um Anerkennung zu kämpfen hatten ehemalige politische Gefangene, Gewerkschafter*innen, Sozialdemokrat*innen und bürgerliche Widerständler*innen, aber besonders Kommunist*innen. Sie saßen nach dem KPD-Verbot Mitte der 1950er Jahren erneut in Haft. Ende der 1960er Jahren wurden sie Dank des von der SPD mit initiierten ‚Radikalenerlasses‘ aus dem öffentlichen Dienst verbannt und in den Jahresberichten der Verfassungsschutzbehörden als Staatsfeinde geführt.

Mehrere tausend organisierte Widerstandskämpfer*innen in den Internationalen Brigaden und weitere linkskommunistische und anarchistische Einheiten, die gegen den Spanischen Franquismus und die deutsch-italienische Intervention in Spanien kämpften, wie auch die gegen den deutschen Vernichtungskrieg organisierte europäische Résistance werden bis heute nicht durch den staatlichen ‚Erinnerungsweltmeister‘ gewürdigt, noch wurden sie nach 1945 materiell unterstützt. Hierfür seien die jeweiligen Regierungen in den Ländern, in denen die Widerständler*innen gekämpft hätten, zuständig, verdeutlichte die Bundesregierung ihr Verständnis des antifaschistischen Widerstands. Hier macht die Friedensstadt Osnabrück keine Ausnahme.

Entschädigungsalmosen

Deutsche Konzerne wurden erst in den 1990er Jahren und infolge der Annexion der DDR durch US-amerikanische Initiativen und Klagen gezwungen, minimale Entschädigungen für geleistete Zwangsarbeit zu zahlen. Bis heute ist das Maß alltäglicher Zwangsausbeutung von verschleppten ‚Zivil‘- und Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen in der Nazi-Zeit in allen gesellschaftlichen Bereichen nicht erkannt. Im ländlichen Raum auf jedem Hof und in den Städten in jedem Betrieb zur Arbeit gezwungen, taucht diese in der unmittelbare Nachbarschaft jede*r Bürger*in stattgefundene faschistische Missachtung der Menschenwürde und menschlicher Leben in keiner regionalen erinnerungskulturellen Erzählung auf.

Rituale

Gleichzeitig wurde bei allem Gedenken schnell deutlich, dass es vor allem um die eigene deutsche Befindlichkeit und Machtposition geht, um seine europäischen und weltweiten Ambitionen weiter verfolgen zu können. Zu den Ergebnissen dieser immer wieder abgespulten, hochtrabenden Inszenierung gehören die von staatlichen bis zu kommunalen Institutionen ohne jedes historische Verstehen gehaltenen ritualisierten Gedenkreden, garniert mit hoheitlichen Kranzabwürfen an festen Terminen, arrangiert mit betroffenem Minenspiel und beschallt von salbungsvollen Festreden. Im Anschluss an die Betroffenheit wird vielerorts direkt zur Tagespolitik übergegangen, in der die allgemeingültige Menschenwürde parteiübergreifend zunehmend wieder an Nationalität und Ethnie festgemacht wird. Fehlanzeige beim historischen Lernen.

Funktionalisierende Erinnerung

Nicht nur dem Frieden soll die Erinnerung in der selbsternannten und autorisierten Friedensstadt Osnabrück dienen. Sie führe zu Auseinandersetzungen an den ehemaligen Tatorten und habe ein Gedenken und Erinnern ermöglicht, welches mittlerweile alltägliche Praxis sei. Soweit die Wunschvorstellung der parteiübergreifenden Selbstvergewisserung.

Schauen wir etwas genauer hin, was mit dieser Täuschung verdeckt wird.

Abgeschaffter Antifaschismus

Kaum einem Nazi ging es an den Kragen. Die Entnazifizierungs-Ausschüsse kapitulierten rasch gegen die Flut von Täter*innen und Mitläufer*innen, zumal die Westalliierten schnell ihr kurzzeitiges Verfolgungsinteresse gegen das nun wieder aktualisierte antikommunistische Ressentiment tauschten und Nazi-Verbrecher*innen in die Nachkriegsgemeinschaft integrierten. Eine Eingliederungsleistung, die auch in der DDR offensiv verfolgt wurde. Dort wurden die Wehrmachts-Kriegsverbrecher ebenso wie in der BRD für die Nachfolgestreitkräfte dringend benötigt.

In allen gesellschaftlichen Bereichen wurde statt des Bruchs die Kontinuität favorisiert. Minimalstrafen standen Karrieren und wirtschaftlichem Auskommen nicht im Wege. Der Morddienst während des Vernichtungskriegs in der Wehrmacht wurde mit Renten- und Pensionsansprüchen vergütet. Staatliche, kommunale und private Formen der Enteignung und die Arisierung jeglicher Art von Besitz wurden legitimiert. Auch hier mussten Verfolgte und Geflohene den entwürdigenden Weg der Klage und in Konfrontation mit den Verwerter*innen, Nutznießer*innen und Täter*innen antreten. Ein verschwindend geringer Anteil von führenden Täter*innen wurde überhaupt belangt, millionenfaches Morden und Körper verletzen sowie Kompliz*innenschaft bleiben bis heute ungestraft.

Die Emslandlager

Im strukturschwachen Emsland befanden sich, neben dem nahe München gelegenen Konzentrationslager Dachau, die größten frühen Nazi-Konzentrationslager: Neusustrum, Börgermoor und Esterwegen. Dort wurden direkt nach der Machtübergabe an die Nazis besonders politische Gefangene, aber auch zahlreiche weitere verfolgte Gruppen inhaftiert. Der Lagerkomplex wurde bis zur Befreiung kontinuierlich für weitere Gefangenengruppen wie Justiz- und Kriegsgefangene ausgebaut, immer neue Lager geschaffen: am Ende waren es dort ganze 15 Lager. Ein Teil der Gefangenen wurde aus den emsländischen Lagern nach Osnabrück zur Zwangsarbeit auf dem Piesberg, beim Bombenräumen und in der Beseitigung von Trümmern gezwungen.

In den Emslandlagern begannen zahlreiche Nazi-Täterkarrieren und die Ausbildung für das massenhaft benötigte Mordpersonal zur Entwicklung und Perfektion des Universums der Konzentrations- und Vernichtungslager. Initiativ an der Errichtung der frühen Konzentrationslager beteiligt waren der Osnabrücker Regierungsrat und Regierungspräsident Bernhard Eggers, der Osnabrücker Oberbürgermeister Erich Gaertner und sein Stab in der Stadtverwaltung. Die Osnabrücker Schutzpolizei und SS-Mannschaften waren als Wachpersonal vertreten.

Die Erinnerung an die Lager wurde zuerst durch die ehemaligen Häftlinge, etwa das Komitee der Moorsoldaten und ab den 1980er Jahren in Zusammenarbeit mit der Initiative des DIZ (Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager) wach gehalten. Es entstanden ein Archiv mit zahlreichen Erinnerungen und Dokumenten zur Lagergeschichte und die Veröffentlichung grundlegender wissenschaftlicher Schriften in der DIZ-Schriftenreihe. Seit November 2011 ist die Dauerausstellung in der neuen Gedenkstätte Esterwegen zugänglich. Mittlerweile musste das DIZ-Archiv und seine Sammlung aus der Gedenkstätte weichen und in Papenburg eigene Räumlichkeiten beziehen, um seine Arbeit fortsetzen zu können.

Der Kampf und das Engagement der Häftlinge der Emslandlager, einige kamen direkt aus Osnabrück und kehrten nach 1945 auch hierher zurück, spielen in der lokalen Erinnerungskonzeption keine Rolle.

Erinnerungspolitik in Osnabrück

Ein weiterer Schritt, die eigene Beteiligung an der Nazi-Herrschaft zu relativieren, bestand in der Pflege der Halluzination eines Daseins als Opfer. Hierbei stehen die alliierten Luftangriffe, das britische und amerikanische „Vernichtungswerk“ und die Zerstörung der Stadt durch den „alliierten Bombenterror“ im Vordergrund. Eine Formulierung, die bereits die Nazi-Propaganda ausgiebig zur Durchhalteparole wendete und die gerne von der Bevölkerung aufgegriffen wurde. In Osnabrück wird der Ostersonntag des 25. März 1945 ungebrochen als lokal herausragendes Ereignis beschworen.

Das städtisch subventionierte Erich Maria Remarque-Zentrum hat diese Strategie nun unter den Leitmotiven „Schutt“ und „Demokratie“ aktualisiert. In Berlin steht eine ähnliche Ausstellung unter der Losung „Mit Trümmern Träume bauen“.

In der Osnabrücker Ausstellung werden mehrere Gemälde gezeigt, die die Zerstörungen des ‚Bombenterrors‘ zum zentralen Thema haben. Zwar weist eine Tafel mit einer Fotografie auf die Zwangsarbeiter und KZ-Gefangenen hin, die von der Osnabrücker Stadtverwaltung zum Bomben- und Schutträumen verpflichtet wurden, näheres erfahren die Besucher*innen aber nicht.

Quellen wie die Erinnerungen des kommunistischen Widerstandskämpfers Fritz Bringmann (1918–2011), der in mehreren Konzentrationslagern, darunter Sachsenhausen und Neuengamme, inhaftiert war, werden nicht zitiert. Bekannt sind sie uns überhaupt nur durch antifaschistische zivilgesellschaftliche Erinnerungsarbeit. Sie könnten einen Eindruck des Schreckensregime und der Alltäglichkeit des Arbeitseinsatzes vermitteln. Zwischenzeitlich wurde Bringmann in Osnabrück in der 2. SS-Baubrigade zu Bomben- und Schutträumungen herangezogen. Er berichtet als Sanitäter der Brigade von Misshandlungen und Erschießungen durch die Bewacher. Während Bringmann und weitere Familienangehörige in der Geburtsstadt Lübeck wenigstens am Lebensende für ihr antifaschistisches Engagement geehrt wurden, erfuhr er in Osnabrück keine öffentliche Anerkennung.

Die Eindrücke der ‚Osnabrücker Opfer‘ stehen auch in der die Ausstellung begleitenden Broschüre „… Die Geburtsstunde der Demokratie“ prominent im Vordergrund. Hier geht es um die „völlig zerstörte Stadt“, der die „Siegermächte“ die Freiheit aufgenötigt hätten. Die „Widerständler und Demokraten“ dagegen werden als unbedeutend und zu vernachlässigen marginalisiert. Sie seien „längst ermordet“, noch „im KZ gefangen oder ins Ausland geflohen“ und „auf Nimmerwiedersehen verschwunden“, heißt es im Vorwort der Broschüre, die u.a. von dem Leiter des Erich Maria Remarque-Zentrums, verfasst wurde.

Ohne die ehemaligen Nazis sei der Aufbau der Stadt nach dem Krieg in der Verwaltung nicht möglich gewesen, so eine weitere Behauptung. Statt des überzeugten Nazis und ehemaligen Oberbürgermeisters Gaertner, Mitglied in der SA und NSDAP, wird der Jurist und Volkswirt Johannes Petermann hervorgehoben und als geläuterte Identifikationsfigur angeboten. Er wurde erst von den Briten zum Oberbürgermeister, später zum Regierungspräsidenten ernannt. Der ehemalige Zentrumspolitiker war in der Nazizeit zeitweise tatsächlich Vertreter von Gaertner in der Polizeibehörde gewesen. Er sei bei den Nazis als „Verwaltungsfachmann geschätzt“, aber „nicht linientreu genug“ gewesen. Sein Aufgabenbereich sei u.a. gewesen, „Bombenschäden“ zu regulieren und er habe die „Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager beaufsichtigt“, schreibt der Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums.

Petermann war dann auch für die elenden Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen oder die von der Stadt Osnabrück für die Beseitigung der Kriegsschäden verpflichteten Gefangenen aus dem Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg mit zuständig. Einer der Vielen im Verwaltungsbetrieb, über die bis heute wenig bekannt ist.

Die Ausblendung der Täter*innen verdeckt zudem die breite Massenbasis der Unterstützer*innen im Nazi-System. Das Ausmaß der Beteiligung und die Einbindung bleibt weitgehend im Dunkeln und wird verdrängt. Das alltägliche Funktionieren und die Förderung des Nazi-Regimes, etwa in Wirtschaft, Vereinen, Verwaltung, bleiben unerkannt.

Auferstehung der Täter als Opfer und ihre „Ambivalenz“

In der Diskussion um das Wirken von Hans Georg Calmeyer wird die Verschränkung von Opfern und Täter*innen weiter getrieben. Ein juristischer Bürokrat wird zum „Judenretter“ stilisiert. Er soll, so die Intention der institutionalisierten örtlichen Erinnerungsvereinigungen, die Zwiespältigkeit und engen Handlungsspielräume in der Nazi-Zeit verdeutlichen.

Seine Doppelrolle als Retter soll seine Vorbildfunktion unterstreichen, während seine Funktion als Mit-Deporteur in die Vernichtungsstätten den Gegensatz zwischen Täter*innen und Opfern weiter nivelliert. Eine Entwicklung, die zuerst in der Nachkriegszeit in völkisch-nationalistischen und revanchistischen Kreisen etabliert, nun in zahlreichen gesellschaftlichen und politischen Bereichen ihre normalisierende Verbreitung erfahren hat. Das Bild und die Erzählung des Deutschen als Opfer, war bereits früh von den Nazi-Propagandist*innen im Gewand der Drohung der „Siegerrache“ geboren worden. Mittlerweile wird das stereotype Sinnbild der „Optionen des Handelns“ bemüht, das behauptet, Handlungsmöglichkeiten seien begrenzt, das Mitmachen und die Unterstützung der Diktatur sei unvermeidlich gewesen – ein Hohn gegenüber den internationalen Widerstandskämpfer*innen und den Befreier*innen. Es werden bewußt indifferente bürgerliche Protagonisten wie der „Oskar Schindler Osnabrücks“ hervorgehoben, während das rare antifaschistische Engagement und Handeln ausgeblendet bleibt, wie die Calmeyer-Rehabilitierung verdeutlicht, der bereits 1989 mit einem nach ihm benannten Platz geehrt wurde.

Mathias Middelberg, einer der Calmeyer-Biographen, gleichzeitig ein konservativer Osnabrücker CDU-Spitzenpolitiker, gefällt sich als geschichtsbewußter Erinnerungsrevisionist, der gleichzeitig das repressive EU-Außengrenzregime lobt und die mörderische Abschottungspolitik voran treibt. Als bürgerlicher Haushaltspolitiker fördert er die neoliberale Umverteilungspolitik zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme.

Die Osnabrücker Lokalparteien, von der konservativen CDU über die staatskonforme SPD zu den Grünen, waren sich einig, für den nach Calmeyer benannten Erinnerungsort im ehemaligen NSDAP-Hauptquartier neben dem Felix-Nussbaum-Museum zu trommeln.

Erst konsequente Einsprüche von Historiker*innen, Antifaschist*innen und Überlebendenverbänden aus den Niederlanden konnten die von der Stadt und ihren Amtsträger*innen heftig verteidigte Namensgebung verhindern. In der überregionalen Presse wurde die Inszenierung des Osnabrücker Forums für Erinnerungskultur und die Verwandlung des „NS-Rassereferenten“ zum „Musterdemokraten“ und „Widerständler“ mit Befremden aufgenommen. Übrig bleibt ein „Lernort für Demokratie“ im ehemaligen Osnabrücker Hauptquartier der NSDAP, in dem Nazigegner drangsaliert wurden. Das Gebäude, nun neutralisierend als „Villa_“ benannt, wird seiner Nazi-Geschichte entrückt. Verpasst wurde die Möglichkeit, einen zentralen Dokumentationsort für die Nazi-Geschichte und ihre Folgen in Osnabrück aufzubauen, mittlerweile eine Selbstverständlichkeit in vielen anderen vergleichbaren Städten.

Krieg im Frieden

Erinnert wurde in den 1980er Jahren entgegen dem Widerstand konservativer Kräfte, etwa aus der CDU, an den liberalen Exilschriftsteller Erich Maria Remarque. Er fügt(e) sich mit seinem Antikriegsroman Im Westen nichts Neues fast idealtypisch in das Konzept der Friedensvermarktung der Stadt Osnabrück und seiner Anknüpfung an den Westfälischen Frieden ein.

Osnabrück war seit der Industrialisierung eine Rüstungsstadt. Immer, wenn die zivilen Märkte nicht den gewünschten Mehrwert aus der Arbeit auspressen konnten, wurde für den nationalen Expansionskrieg produziert, spätestens ab den 1930er Jahren in der homogenisierten Volksgemeinschaft. Mit Kriegsbeginn erhielten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter die Produktion aufrecht. Ihre Ausbeutung war mit dem Konzept der „Vernichtung durch Arbeit“ im Universum der Vernichtungs-, Konzentrations- und Arbeitslager verbunden.

1945, in der von Staat und Kapital ausgerufenen ‚Stunde Null‘ schließlich, die von der Bevölkerung gerne aufgegriffen wurde und wird, fertigt ‚Volkswagen‘ statt dem Wehrmacht-Kübelwagen nun, baugleich mit leichten Veränderungen, den ‚zivilen‘ Käfer.

Das Osnabrücker Unternehmen der Familie Karmann stellt gleichfalls von der Produktion von Flugzeugteilen für die deutsche Luftwaffe wieder auf die Autoproduktion um. Sie geht gestärkt aus der beschworenen ‚Kriegskatastrophe‘ hervor. 2025 wird abermalig eine gewinnträchtige Konversion beschworen. Die nicht mehr profitable Autoproduktion soll nun durch diejenigen Waren der Rüstungsschmiede Rheinmetall ersetzt werden, die in der ‚Friedensstadt‘ investieren möchte. Die Arbeiter*innen sollen sich über die Erhaltung der versprochenen Niedriglohnausbeutungsplätze freuen. Kapitalisten und Finanzindustrie jubilieren, die unpolitisch servilen Gewerkschaften fordern allenfalls einen Mindestausbeutungslohn. Im November 2023 verkündete der beliebte SPD-Minister Pistorius, dass Deutschland „kriegstüchtig“ werden müsse. Eine Forderung, um in der nationalstaatlichen Konkurrenz zu bestehen und den imperialen Gegnern im täglichen Handelskrieg entgegen zu treten.

Dagegen ist daran zu erinnern, dass die „sogenannte freie Welt an ihrem eigenen Begriff zu messen“ sei. Sich „kritisch zu ihr zu verhalten und dennoch zu ihren Ideen zu stehen, sie gegen Faschismus Hitlerscher, Stalinscher und anderer Varianz zu verteidigen, ist Recht und Pflicht jedes Denkenden“, wie Max Horkheimer in den 1960er Jahren pointiert formuliert hat.

Gedenken hat nur eine Konsequenz aus dem Leiden der Opfer zu ziehen: Alles dafür zu tun, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe.

Befreiung feiern bedeutet, sich organisiert gegen jegliches Schlussstrich-Gerede zu wenden, heißt auch, der zunehmenden Kriminalisierung antifaschistischen Widerstands und allen Formen des Antisemitismus und Rassismus entgegen zu treten.

Wir gedenken der Opfer des NS-Terrors und der Wehrmachtsverbrechen!

Wir erinnern an den Schwur von Buchenwald, in dem es heißt:

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Kritischer Stadtrundgang – 80. Jahrestag der Befreiung?

27. April 2025, Start 16 Uhr Rathaus, ca. 2 Std. Dauer

„…wir haben doch von nichts gewußt!“ hieß es 1945 und in den Folgejahrzehnten. In Diskussionen und Medien wurde und wird die Parole von der „Stunde Null“ verwendet. Bereits im Januar 1945 – noch vor Kriegsende – sprach ein evangelischer Theologe in Basel vom „Nullpunkt“, vor dem die deutsche Bevölkerung stehe. Der Bürgermeister von Bremen forderte im Dezember 1945 gleichfalls einen „völligen Neuanfang“.

Vermischt wurden dabei – nicht durch Zufall – Erfahrungen und Tatsachen mit Legenden zu einem harmonischen Mythos. Auf das Konstrukt vom angeblichen historischen Bruch bei tatsächlicher weitgehender Kontinuität beriefen sich große Teile der Bevölkerung wie auch ganze Berufsgruppen.

Wurde in der DDR der 8. Mai 1945 als »Tag der Befreiung vom Faschismus« gefeiert, wird in der BRD von Kapitulation und Zusammenbruch gesprochen, wie etwa bei der Weizsäcker-Rede zum 8. Mai 1985. Gleichzeitig hat sich mit der „Wiedergutwerdung der Deutschen“ (Eike Geisel) eine staatlich subventionierte kritiklose Gedenkpolitik etabliert. Die Wähler*innen der neo-faschistischen Parteien und Organisationen bis hin zu konservativen Kräften fordern einen „Schlussstrich“, sprechen vom „Vogelschiss“. Sie relativieren antifaschistisches Gedenken.

Kontinuitäten in Osnabrück

Die Deportationen der jüdischen Bevölkerung, hieß es, hätten ohne Wissen der Bevölkerung, bei „Nacht und Nebel“ stattgefunden. Orte wie die Pottgraben-Schule, ein Deportationsort, der Gestapo-Keller im Schloß, die zerstörte Synagoge befanden sich mitten in der Stadt. Dass Osnabrücker Jüdinnen und Juden von Nachbarn geholfen wurde, dass sie versteckt und vor der Deportation bewahrt wurden, ist nicht bekannt. Keine*r riskierte sein Leben für jüdische Menschen.

Bereits nach der Befreiung Osnabrücks wurden die wenigen jüdischen Überlebenden erneut mit antisemitischen Angriffen konfrontiert, die Scheiben der jüdischen Schule eingeworfen und antisemitische Parolen skandiert.

Das antisemitische Ressentiment ist niemals verschwunden. Es ist heute verbunden mit antizionistischen Angriffen gegen Israel, den einzigen Staat, der jüdisches Leben schützt.

In Osnabrück gibt es keinen umfassenden Erinnerungsort zur Nazi-Geschichte. Im Gegenteil: Viele historische Stätten werden von der aktuellen Nutzung bestimmt, verbergen ihre Rolle in der Nazi-Zeit. Das städtische Marketing konzentriert sich auf zweifelhafte Repräsentanten, wie die Diskussion um das Wirken Hans Calmeyers und die eröffnete Villa_  zeigt.

An historischen Stätten geben wir einen kritischen Einblick in die allgegenwärtige Verfolgung, Drangsalierung, Erfassung und „Arisierung“, Vertreibung und Vernichtung wie auch auf die Täter*innen und weisen auf die Kontinuitäten hin.

Tagesexkursion zur Gedenkstätte Esterwegen in der Nähe von Papenburg im Emsland am 22.04.2023

Die Geschichtswerkstatt Regionale Täterforschung, das Referat für Politische Bildung und Antifaschismus des AStA der Universität Osnabrück und das Café Mano Negra laden ein zur Tagesexkursion in die Gedenkstätte Esterwegen.

Wir wollen uns vor Ort über eine Führung und vertiefende Diskussionen sowie optionale Workshops kritisch mit der Geschichte der nationalsozialistischen Lager und Lagerfriedhöfe im Emsland auseinandersetzen. Gleichzeitig möchten wir einen Blick hinter die Kulissen regionaler erinnerungspolitischer Vorgänge seit der Nachkriegszeit werfen und damit die umkämpfte Geschichte der heute als oft selbstverständlich angesehenen deutschen Erinnerungslandschaft zur NS-Zeit historisieren.

Die Kosten für die Veranstaltung werden vom AStA der Universität Osnabrück übernommen. Wir reisen gemeinsam mit einem gemieteten Bus an. Die Gedenkstätte liegt recht abgelegen, vor Ort besteht keine Möglichkeit der Verpflegung für die Mittagspause. Bitte bringt also individuell oder in gemeinsamer Absprache Verpflegung mit.

Die gemeinsame Abfahrt mit einem gemieteten Bus ist für 9:00 Uhr vor dem EW-Gebäude der Universität (Seminarstraße 20) geplant. Die Rückkehr aus Esterwegen erfolgt gegen 17:00 Uhr.

Für die Anmeldung schreibt uns bitte eine eMail an geschichtswerkstatt@riseup.net. Da die Plätze begrenzt sind, verstehen wir die Anmeldung als verpflichtend. Da wir uns über zahlreiche Rückmeldungen freuen, richten wir dennoch eine Warteliste für potenziell Nachrückende ein.

Wir freuen uns auf euer Interesse!

Kundgebung zur Befreiung vom Nazi-Faschismus vor 75 Jahren

Wir unterstützen den Aufruf des Bündnisses 8. Mai zur
Kundgebung am Samstag, 9.5.2020, 14 Uhr, Theatervorplatz Osnabrück

Wir rufen alle Antifaschistinnen und Antifaschisten auf, der Befreiung vom Nazi-Faschismus vor 75 Jahren zu gedenken.

Am 8. bzw. 9. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos. Ganz Europa war verwüstet worden. Millionen Tote, Verwundete und Vergewaltigte forderte der zweite Weltkrieg der Deutschen. In den Konzentrationslagern und Vernichtungsstätten wurden Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, politische Gegner*, Zwangsarbeiter*, Deserteure, sogenannte Gemeinschaftsfremde und Asoziale, Soldaten der Antihitlerkoalition und unzählige andere Menschen misshandelt und ermordet. In verlustreichen Kämpfen brachten die Alliierten und Widerstandskämpfer* der Résistance den Krieg an seinen Ausgangsort zurück und zerschlugen das deutsche Militär.

Wir gedenken der Opfer des NS-Terrors und der Wehrmachtsverbrechen.

Wir erinnern an den Schwur von Buchenwald, in dem es heißt:
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Die Überlebenden von Buchenwald ahnten in ihrer Erklärung die Brüchigkeit des vorläufigen Sieges über den Nazismus.

Antifaschistischer Widerstand
Mit aller Härte musste gekämpft werden gegen ein Volk, das sich einig war im gemeinsamen Wahn der Judenvernichtung, und das sich an der Heimatfront ebenso wie im russischen Schnee bereitwillig aufopferte. Ausnahmen – Menschen, die sich nicht der nationalsozialistischen Massenbewegung anschlossen – gab es, aber ihrer waren erschreckend wenige: Kommunisten*, Linkssozialisten*, Anarchisten*, auch etliche Sozialdemokraten* und einige Konservative, Liberale oder Anhänger* anderer bürgerlicher Ideologien sowie antifaschistische oder pazifistische Christen*, junge Leute, die sich dem Mitmachen verweigerten, Edelweißpiraten* und Swing-Jugendliche. Sie wurden systematisch bekämpft, viele von ihnen endeten im Konzentrationslager, Arbeitslager und im Zuchthaus. Sie hatten auf Befreiung gehofft, von innen her oft vergeblich versucht, aktiv zur Niederlage Nazi-Deutschlands beizutragen. Andere von ihnen, die ins Exil hatten gehen müssen, beteiligten sich – z. B. durch Mitarbeit im amerikanischen Geheimdienst, im Dienst der Roten Armee oder der Organisierung von Sabotageaktionen im Reichsgebiet – von außen an diesem Versuch. In der DDR teilweise zu nationalen Helden* hochstilisiert, wurden sie in der BRD ignoriert und im wiedervereinigten Deutschland bis in die jüngste Gegenwart nur zögerlich beachtet.

Befreiung für wen?
Anders die Angehörigen der deutschen Militär- und Machteliten, die zunächst dem NS-Regime gedient, und deren wenige dann dessen Spitze auszuschalten versucht hatten, wie die Stauffenberg-Attentäter. Einige kamen mit dem Leben davon, und sie konnten sich nach dem Sieg der Alliierten durchaus befreit fühlen. Aber diese Art der Befreiung hatten sie mit ihrem Widerstand nicht herbeiführen wollen, die Niederlage Deutschlands hatten sie gewiss nicht im Sinn.
Die erschlagende Mehrheit der deutschen Bevölkerung aber war bis zum bitteren Ende regimekonform geblieben, hatte „bis zum letzten Mann“ den „Traum“ der Volksgemeinschaft zu verteidigen versucht. Noch in den ersten Mai-Tagen forderte der irrwitzige Kampf der letzten Volkssturm-Aufgebote und versprengten Wehrmachts- und SS-Einheiten, die das Helden-Walhalla der Kapitulation und Entnazifizierung vorzogen, weitere Opfer. Selbst als die Rote Armee vor der Tür stand und die militärische Niederlage unausweichlich war, ging der Massenmord in den Konzentrationslagern und auf den Todesmärschen ohne Unterlass weiter. Die deutsche Volksgemeinschaft hatte auch im Mai 1945 mit „Befreiung“ nichts im Sinn, viele hofften noch bis zum Abgang des „Führers“ auf eine militärische Wende. Zahlreiche Deutsche rechneten gar damit, dass die Koalitionen im letzten Moment noch wechseln und die westlichen Alliierten dann gemeinsam mit den Deutschen gegen den „bolschewistischen Hauptfeind“ zu Felde ziehen würden.
Wenngleich die Deutschen militärisch besiegt wurden, ergab sich nach dem 8. Mai 1945 eine höchst eigentümliche historische Situation.

Postnazistisches Deutschland
Die Anti-Hitler-Koalition konnte nicht über die konkurrenzimperiale Konstellation der Westmächte und der UdSSR hinwegtäuschen. Das Bündnis gegen Deutschland war ein Zusammenschluss auf Zeit und auf einen spezifischen Zweck hin, es betraf nicht die Vorgehensweise nach dem Sieg über den NS-Faschismus. Eben deshalb kam es in den Westzonen nach dem Mai 1945 bald dazu, dass die vom Nationalsozialismus „befreiten“ Deutschen erneut frei wurden, bestimmte ideologische Teilstücke und personelle Bestände aus der Nazizeit weiterzutradieren oder wiederzuverwenden; insbesondere frei dazu, die Front gegen den „Osten“ im Kalten Krieg zu stärken. Ohne großartige Revision wurde an den nazistischen Antibolschewismus angeknüpft. In der Bürokratie, Justiz, Ideologieproduktion und dann im wieder gebildeten Militärapparat fanden die ehemaligen NS-Leistungsträger* und -Unterstützer* erneute Verwendung. Auch die ehemaligen Wehrwirtschaftsführer waren bald wieder im Geschäft, ehemalige NS-Funktionäre* verrichteten nun Dienste für die westlichen Geheimdienstapparate.
So wurde eine konsequente Entnazifizierung der der neuen weltpolitischen Lage „angemesseneren“ Verfahrensweise geopfert. Statt der Umsetzung der einzigen Konsequenz, die aus der Geschichte hätte gezogen werden dürfen: dass es Deutschland nie wieder geben darf, wurde das „Dritte Reich“ lediglich in eine postnazistische BRD transformiert, deren Kontinuitäten bis heute fortdauern.
Auch in der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR bedienten sich die Militärverwalter* und später die „sozialistische“ Führung der Nützlichkeit ehemaliger faschistischer Funktionäre*. Allerdings geschah dies individuell, generell wurden die Funktionseliten ausgewechselt. Viele Leistungsträger* aus der Zeit vor 1945 gingen ab nach Westdeutschland. Die DDR definierte sich historisch als Produkt eines deutschen Antifaschismus. Wenngleich deutsche Gegner* des NS-Staates, die sich für das „andere Deutschland“ hielten, beim Aufbau der DDR mitwirkten, fand dieser staatlich inszenierte Antifaschismus kaum sein Gegenstück in der Bevölkerung. Durch sein unverbrüchliches Anknüpfen an nationalistische Parolen und zum Antizionismus „gewendete“ antisemitische Ideologie entlarvte er sich als der Mythos, der er von Anfang an war. Die „Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“ diente größtenteils nichts anderem als der nationalen Reinwaschung.

Organisierter Faschismus
Das Verbot faschistischer Organisationen durch die alliierten Siegermächte hatte keinen langen Bestand. Es wurde durch antisemitische und revanchistische Nachfolgeorganisationen und -parteien schon bald unterlaufen, so in der BRD durch die „Sozialistische Reichspartei Deutschlands“ (SRP, von 1949 bis 1952 aktiv; 1951 erhielt sie 11% der Stimmen bei der niedersächsischen Landtagswahl). In der DDR wurde 1948 die „National-Demokratische Partei Deutschlands“ (NDPD) zugelassen, gedacht als Auffangbecken für ehemalige Nazi-Funktionäre und Soldaten. 1964 wurde in der BRD die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) gegründet. Sie erhielt großen Zulauf und zog in mehrere Landesparlamente ein. Seit 1971 agierte die „Deutsche Volksunion“ (DVU). Ebenfalls in Länderparlamenten vertreten, gab sie bis Ende letzten Jahres u. a. die „National-Zeitung“ heraus. 1983 wurden „Die Republikaner“ (REP) gegründet, auch sie zogen in Länder- und das EU-Parlament ein. Kontinuität stiftete gleichfalls die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V.“ (HIAG). 1951 gegründet, widmete sie sich der Gleichstellung der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS mit den Wehrmachtssoldaten und der Rehabilitierung der Waffen-SS. 1978 existierten 118 Orts- und Kreisverbände. Der Bundesverband löste sich 1992 auf, einzelne Lokalgruppen existieren weiter. Vertriebenenverbände stellen bis heute die deutschen Staatsgrenzen in Frage. Ein Teil der studentischen Verbindungen und Burschenschaften pflegt die Nazi-Ideologie und füllt das Reservoir an reaktionären Eliten auf.
Zuletzt hat sich, neben allerlei Neugründungen von Neo-Nazi-Parteien wie „Die Rechte“, „Der III. Weg“ und völkischen Bewegungen wie die „Identitäre Bewegung“ und PEGIDA, besonders die populistische „Alternative für Deutschland“ (AfD) in den Parlamenten etabliert. Sie befördert mit ihren Unterstützern* und parlamentarischen Verbündeten die Normalisierung völkisch-rassistischer Politik. Gleichzeitig werden die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlost und die Erinnerung daran revidiert. Die Nazi-Herrschaft zwischen 1933 und 1945 sei nur ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte gewesen, so A. Gauland.
Der bewaffnete, international organisierte Neo-Nazismus ist seit der Gründung der BRD aktiv. Vom Attentat auf das Münchener Oktoberfest 1980 über die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ bis zur „Gruppe Freital“ und zum Attentat in Kassel zieht er mordend durchs Land. Er rekrutiert sich teils aus staatlichen Institutionen, beteiligt sind dabei Polizistinnen und Polizisten, ReservistInnen, Militärs und Elitekämpfer der Bundeswehr. Jüdisches Leben wird nicht erst seit dem Attentat in Halle angegriffen und bedroht. Tagtäglich werden Jüdinnen und Juden in der Öffentlichkeit verachtet, angepöbelt, selbst in Schulen attackiert. In Moscheen wird der islamistische Rassismus und Antisemitismus gepredigt, der sich auch mit Nazis und völkischen Konservativen verbindet: Rechter Terror und jihadistische Terroristen schließen temporäre Kooperationen. Bereits in den 1930er Jahren schlossen die Nazis Bündnisse mit dem Großmufti Mohammed Amin al-Husseini von Jerusalem.
Der Staats-Islamismus des Autokraten Erdogan und sein expansionistisches Konzept des Großtürkentums verbündet sich in der Bundesrepublik, so auch in Osnabrück mit den faschistischen ‚Grauen Wölfen‘ gegen Kurdinnen und Kurden, die von EU-Behörden zu Terroristen* deklariert und von der Justiz verfolgt werden. Die vom türkischen Staat bezahlte und gesteuerte DITIB steht in Verhandlungen mit der niedersächsischen Landesregierung über eine Grundschul-Religions-Partnerschaft, der Osnabrücker Oberbürgermeister Griesert hofiert islamistische Religionsgemeinden während des Ramadans.

Was bedeutet der Schwur von Buchenwald für den Antifaschismus heute?
Das Schlußstrich-Geheule aus allen Gesellschaftsecken will das „Nie wieder Faschismus!“ des Buchenwald-Schwurs zerbröseln, Gedenkstätten müssen sich gegen Besucher* verteidigen, die den Holocaust leugnen. Allein wenn es Opfer des Neo-Nazismus zu beklagen gibt, rufen Staatseliten nach antifaschistischem Engagement bzw. Export-Industrieunternehmen sorgen sich um ihr internationales Ansehen. Derweil läuft das Geschäft mit dem islamistischen Iran, der die Vernichtung Israels projektiert, des ersten Staates, der die Existenz jüdischen Lebens garantiert. Wer ernst macht mit dem Aufruf: „Keinen Fußbreit den Faschisten!“ wird hierzulande mit dem polizeilichen Gewaltmonopol konfrontiert und in die Schranken der freien Meinungsäußerung gewiesen. Gestattet werden Nazi-Aufmärsche wie für die verurteilte Holocaust-Leugnerin U. Haverbeck in Bielefeld. In Politik, Medien und der Wissenschaft wird mit der Totalitarismusthese das antagonistische Verhältnis zwischen Faschisten* und ihren Gegnern* in Abrede gestellt, sie setzt Antifaschistinnen und Antifaschisten mit Nazis auf eine Stufe. Antifaschistischen Organisationen wie der überparteilichen „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA), die von Überlebenden der Shoah gegründet wurde, wird mit dem Vorwurf des Extremismus unter der Aufsicht eines sozialdemokratischen Finanzministers die Gemeinnützigkeit und damit die Möglichkeit der Finanzierung durch Spenden entzogen. Hiergegen hat Antifaschismus gemeinnützig zu bleiben!
Wir fordern die Wiedereinführung des 8. Mai als Feiertag, der nur von 1950-1966 in der DDR arbeitsfrei begangen wurde.
Zugleich fühlt sich dieses Land als moralischer und Erinnerungsweltmeister. Der Anspruch jedoch, ein „Gedenken jenseits von Ritual und Schlussstrich“ zu betreiben, ist überwiegend funktional für das eigene Image im lokalen wie nationalen „Friedenslabor“. Dagegen muss ein Erinnern frei von Instrumentalisierung sein – in allen politischen Lagern. Gedenken hat nur eine Konsequenz aus dem Leiden der Opfer zu ziehen: Alles dafür zu tun, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe. Und auch wenn es in keinem Vergleich zu den Untaten des Deutschen Faschismus steht, ist der Hunger, ist das Sterben von Menschen an den Grenzen der EU zu beenden.
Die Forderungen des Schwurs von Buchenwald sind nicht eingelöst. Eine menschliche Welt des Friedens und der Freiheit bleibt zu verwirklichen. Die gesellschaftliche Grundlage, auf der der Nationalsozialismus aufbaute und die er zugleich auf schreckliche Weise aufzuheben antrat, besteht fort: der Kapitalismus. Auf Konkurrenz und die permanente Nichteinlösung des Glücksversprechens der warenförmigen Vergesellschaftungsweise reagieren die Einzelnen durch übersteigerte Identifikation mit dem eigenen Kollektiv und die Absonderung vom als feindlich wahrgenommenen Fremden, immer wieder identifiziert im Juden, der als übermächtig halluziniert wird.
Die demokratische Befreiung erinnern muss bedeuten, den antifaschistischen Kampf für eine solidarische Gesellschaft voranzutreiben. In diesem Sinne gilt unsere Solidarität zuallererst den Überlebenden, in vielen Fällen traumatisiert und bis heute nicht oder nur unzureichend entschädigt. Wir gedenken der Opfer, die in deutschem Namen leiden und sterben mussten.

Bündnis 8. Mai

Wir bitten darum, auf das Mitbringen und Zeigen jeglicher Flaggen, Transparente und Symbole zu verzichten.

Funktion und Praxis des Gesundheitsamts der Stadt Osnabrück in der NS-Zeit

Am 4. April 1945 befreiten britische und kanadische Truppen die Stadt Osnabrück vom Nazi-Faschismus. Die lokalen Nazi-FunktionärInnen und städtischen FunktionsträgerInnen hatten in den meisten Fällen nicht viel zu befürchten.
Der zum 75. Jahrestag geplante antifaschistische Stadtrundgang zu zentralen Orten faschistischer Herrschaft und Gewalt in Osnabrück, der aufgrund der behördlichen Kontaktbeschränkungen nicht stattfinden konnte, ist nun Anlass, stellvertretend eine Einrichtung näher zu betrachten.

Die Anerkennung der individuellen Rechte und Freiheiten kranker wie auch gesunder Menschen ist unter staatlicher Aufsicht veränderbar, nicht garantiert und permanent bedroht. Diese Rechte unterliegen, in unterschiedlicher Intensität, diversen Interessenkoalitionen, der wissenschaftlichen Forschung, den ökonomischen Bedingungen und den vorherrschenden ideologischen Überzeugungen. Die naturwissenschaftlich verklärte Eugenik, die ‚Wissenschaft vom guten Erbe‘, in Deutschland während der Nazi-Zeit auch als ‚Rassenhygiene‘ popularisiert, heute als ‚moderne Humangenetik‘, wie die Pränataldiagnostik, mit neuen Formen der Selektion beworben, nimmt für sich in Anspruch bestimmen zu können, was als ‚gutes Erbgut‘ zu gelten habe. Als ‚positive Eugenik‘, die ‚Verbesserung‘ des Erbgutes durch züchterische Maßnahmen, zielt sie auf Werte wie höhere Intelligenz, robustere körperliche Konstitution, Schönheit oder ‚rassische Reinheit‘. Als ’negative Eugenik‘ verfolgt sie die Beseitigung ’schlechten Erbgutes‘ aus dem Genpool einer Bevölkerung zugunsten zukünftiger Generationen. Gleichzeitig relativiert sie den Wert der selbstbestimmten und in Frage gestellten Individualität. Nicht erst der NS-Staat definierte, wer wertvoll und wer wertlos für die ‚Volksgemeinschaft‘ bzw. für die Gesellschaft war, und verfolgte als ‚unnütze Esser‘, ‚Ballastexistenzen‘, ‚Minderwertige‘ oder ‚Asoziale‘ pseudowissenschaftlich klassifizierte Menschen.

Kontinuität

In Osnabrück, wie auch im gesamten NS-Reich, musste der Leitgedanke der ‚Rassenhygiene‘ nicht aufgezwungen, erpresst oder gewaltsam durchgesetzt werden. Er wurde mitgetragen von Menschen, die mit den Ideen und Vorstellungen der NationalsozialistInnen übereinstimmten. Sie integrierten sich, wurden „Hitlers willige Vollstrecker“ (Daniel J. Goldhagen) und waren oftmals bereits lange vor 1933 NationalsozialistInnen. Ihre Kenntnisse und Erfahrungen wie auch ihre tödlichen Konzepte wirkten und wirken nach 1945 weiter. Gerade deshalb fällt es schwer, die militärische Niederlage der deutschen Vernichtungsmaschinerie als Befreiung zu sehen, denn auch wenn es für die allermeisten Opfer ihre Befreiung war, verhöhnten und drangsalierten die NS-TäterInnen diese oftmals weiterhin. Etwa indem nach 75 Jahren die Ermordung der als ‚asozial‘ Verfolgten als Unrecht bezeichnet wird, während ihre Entschädigung weiterhin ausgeschlossen bleibt und ihre Stigmatisierung, wie auch bei anderen Verfolgten, lange vor der Nazi-Zeit begann und sich bis in die Gegenwart fortsetzt.

Das Gesundheitsamt Osnabrück

Eine wichtige Institution für die ‚rassenhygienische‘ NS-Deutungsmacht war das städtische Gesundheitsamt. Es befand sich in Osnabrück ab 1934 im zweiten Stock am Neuen Graben 11. Der Neubau war 1929 auf dem Grundstück des zum Schloss gehörigen Holzhofes errichtet worden, wie dem Osnabrücker Verwaltungsbericht von 1935/37 zu entnehmen ist. Gleichfalls war die „Allgemeine Ortskrankenkasse“ (AOK) seit der Weimarer bis in die jüngere Zeit dort untergebracht, allerdings mit der Adresse Neuer Graben 27. Heute befinden sich dort u. a. das Studierendensekretariat der Universität und der Uni-Shop.

Am 3. Juli 1934 trat das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ in Kraft, das reichseinheitliche Gesundheitsämter vorschrieb. Sein Kernstück waren „Beratungsstellen für Erb- und Rassenpflege“, die allerdings vordringlich melden und erfassen als beraten sollten. Das Gesetz regelte bis ins Detail die Abläufe, mit denen die Verdächtigen denunziert, begutachtet und den Erbgesundheitsgerichten zur ärztlich-richterlichen Sterilisationsentscheidung vorgeführt werden sollten. Die bisher parallel geführten Karteien, Erhebungs- und Sippenbögen wurden nun in reichseinheitliche Register überführt und vereint. Das Format der Karteikarten, Sippentafeln und Untersuchungsformulare wurde vereinheitlicht, auch für Denunziationen gab es einen Vordruck.
Nachdem bereits 1934 die Zwangssterilisation die Zahl von 65.000 Frauen und Männern erreicht hatte, widmeten sich die Fürsorge- und Gesundheitsämter weiteren Bevölkerungsgruppen, an denen sich sparen ließ: So wurde das Ehestandsdarlehen für junge Paare und die Gewährung von Kindergeld an die erbbiologische Erfassung gekoppelt. Der Präsident der „Deutschen Statistischen Gesellschaft“, Friedrich Zahn formulierte in einem Aufsatz 1937 folgende Ziele: „Die Bevölkerungspolitik muß […] nach den Grundsätzen der Rassenhygiene auf Förderung der wertvollen Erbwerte, auf Verhinderung der Fortpflanzung minderwertigen Lebens, der erbgesundheitlichen Entartung, bedacht sein, m. a. W. eine Hochwertigenauslese einerseits, eine Ausmerze erbbiologisch unerwünschter Volksteile andererseits zielbewußt betreiben.“ Er begründete die Notwendigkeit, alle, nicht nur ‚Auffällige‘ zu erfassen:
„Sobald die Erhebungsarbeiten genügend vorangeschritten sind und eine laufende Beobachtung der erfaßten Personen einsetzen kann, wird die Mitwirkung und Einschaltung der statistischen Zentralstellen bei Aufbereitung des erbbiologischen Materials und Mitverwertung der sonstigen bevölkerungsstatistischen Nachweise zu klären und zu regeln sein. Mit der Durchführung der Gesamtkartei der Bevölkerung wird eine volksbiologische Diagnose erreicht, die als Theorie von heute die Praxis von morgen ergibt und vielseitigen Zwecken der Praxis und Wissenschaft dienstbar gemacht werden kann. Das nunmehr klare Bild vom Umfang der Erbbelastung, vom Gesundheitszustand der Bevölkerung, von der Gesundheitsbilanz gibt der Wissenschaft neuen Forschungsauftrieb zur Förderung der guten, zur Verhinderung der schlechten Erbmasse, zur erbbiologischen Gesundung des Körpers.“

Dr. Hermann Osthoff

In Osnabrück wurde der bisherige Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Rudolf vom Bruch durch das am 07.04.1933 verabschiedete „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen. Dieses diente dazu, „Beamte die nicht arischer Abstammung“ waren, in den Ruhestand zu versetzen, aber auch alle BeamtInnen , die nicht rückhaltlos für den Staat eintraten, zu entlassen. Im September 1935 wurde Dr. Hermann Osthoff, der bisherige Stellvertreter vom Bruchs und zweiter Stadtarzt, als neuer Leiter ernannt. Er trat am 01.05.1933 in die NSDAP ein, gehörte ab 1936 dem NS-Ärztebund an und stieg 1942 zum „städtischen Obermedizinalrat“ auf, eine neu geschaffene Stelle, die mit höherer Besoldung verbunden war. Ein Entnazifizierungsausschuss sah in ihm einen „unbedingt zu Entlassenden“. Hierdurch konnte er nach 1945 kein öffentliches Amt mehr wahrnehmen, allerdings seine Privatpraxis weiterführen. 1949 wurde er schließlich entlastet. Er wurde Mitglied in der „Heger Laischaft“ und dem „Osnabrücker Historischen Verein“, als dessen langjähriges Vorstandsmitglied er auftrat.

Das Gesundheitsamt unter seiner Führung nahm, wie der langjährige Oberbürgermeister Osnabrücks, das SA- und NSDAP-Mitglied Erich Gaertner, in dem bereits erwähnten Verwaltungsbericht hervorhob, eine Reihe „bedeutsamer Aufgaben“ wahr, die in „erster Linie […] das nach bevölkerungspolitischen und erb- und rassenpflegerischen Gesichtspunkten ausgerichtete Gesetzgebungswerk“ betrafen. Es sollte die der „Volkskraft und der Volksgesundheit drohenden Gefahren“ bannen. Hierzu zählte die „Durchführung der Ziele der Erb- und Rassenpflege: a) Hebung der Volkszahl, b) Verbesserung des Erbgutes, c) Erhaltung der Rasse“.
Die Abteilungen des Gesundheitsamtes umfassten neben der Verwaltung drei Teilabteilungen: 1. die Medizinal- und Sanitätspolizei; 2. die Abteilung für Erb- und Rassenpflege. Dort wurden ‚Sippenakten‘ und ‚Personenkarten zur erbiologischen Erfassung‘ angelegt, wie Gaertner am 19.03.1936 an den Regierungspräsidenten Bernhard Eggers berichtet; 3. die Abteilung Gesundheitsführung und -fürsorge.

Neben öffentlichkeitswirksamen Programmen zum Schutz der „Volksgesundheit“ wurde die Propaganda für eine „Pflicht zur Gesundheit“ verstärkt. Gesundheit wie Krankheit waren keine Privatsache. In der Öffentlichkeit wurde zunehmend eine Kosten-Nutzen-Rechnung von medizinischen Therapien und die Frage nach ihrem volkswirtschaftlichen Nutzen hervorgehoben. Der NS-Staat hatte die Vollzugsmacht übernommen: Die Einzelnen wurden als Kostenfaktor für die ‚Volksgemeinschaft‘ und als potentieller Ballast angesehen. Diese Grundlage wurde zur menschenverachtenden ‚Sonderbehandlung‘ fortentwickelt, der Vernichtung der ‚rassisch Minderwertigen‘.

NS-Gesetze

Gesetze wie das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ (1934) waren verbunden mit der Vorstellung von einer umfassenden „erbbiologischen Bestandsaufnahme“ aller EinwohnerInnen. Diese sollte im Gesundheitsamt erfolgen. Dort wurden Kopien der im städtischen Krankenhaus oder in der Heil- und Pflegeanstalt angelegten PatientInnenkarteien zusammengeführt. Mit weiteren Informationen über Schulbildung und „Schulleistungen“, Vorstrafen, „Charakterentwicklungen“ und „Sonderbegabungen“, über den „Körperbautyp“ und „Erbkrankheiten“ entstanden die „Personenkarte zur erbbiologischen Erfassung“ bzw. familiäre Sippentafeln. In den „Sippentafeln“ wurden alle Nachkommen einer Großelterngeneration aufgeführt. Über die Erfassung und Abfassung der Karten wurden anleitende Merkblätter an die Gesundheitsämter verschickt.
Zu klassifizieren waren u. a. auch soziale und ethnische Gruppen. Hierdurch waren die ÄrztInnen auch für die Verfolgung und Ermordung der Osnabrücker Sinti mitverantwortlich. Ihre soziale Ausgrenzung begann mit dem Entzug der Wandergewerbescheine, der Kürzung der Wohlfahrtsunterstützung, der Verhängung von Sondersteuern, dem Ausschluss aus den Schulen und der Anordnung von Zwangsarbeit. Im November 1938 wurden sie gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen und in den am Stadtrand von Osnabrück liegenden Baracken, der „Papenhütte“, zu leben. Ein Großteil der Osnabrücker Sinti wurde ‚erbbiologisch‘ erfasst und deportiert.

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ war unter dem NS-Regime am 1.1.1934 in Kraft getreten. Die Unfruchtbarmachung (Sterilisation) von vermeintlichen TrägerInnen manifester Erbschäden war jedoch bereits vor der Machtübergabe an die Nazis von EugenikerInnen und BevölkerungswissenschaftlerInnen diskutiert worden. Nun hatte sich die Anwendung der Zwangssterilisierung (§12) durchgesetzt. Beamtete Ärzte sowie die Leiter von Kranken-, Heil, Pflege- und Strafanstalten wurden zur Anzeige von Erbkrankheiten und Amtsärzte zur Beantragung der Sterilisation verpflichtet (§2, §3). Es wurde ein Katalog von ‚Erbkrankheiten‘ aufgeführt, der die Sterilisation für „angeborenen Schwachsinn“, „Schizophrenie“, „manisch-depressives Irresein“, „erbliche Fallsucht (Epilepsie), „erblichen Veitstanz“ (Chorea), „erbliche Blindheit“, „erbliche Taubheit“ und „schwere erbliche körperliche Mißbildung“ sowie für „schweren Alkoholismus“ vorsah. Bei dem Diagnosekatalog handelte es sich um unscharfe Sammelkategorien, die eine Vielzahl von Erscheinungsformen erfassten. Im wesentlichen enthielten sie Beschreibungen der „Abweichung vom Normalen“ und waren mit sozialen Werturteilen verknüpft.

Die bewußt unscharfen Diagnosen führten zur Ausweitung von Zwangssterilisationmaßnahmen. Jüdische Menschen wurden nach einem Erlass des Reichsministeriums des Innern vom 01.10.1936 mit den „Minderwertigen“ gleichgestellt. Für Sinti und Roma wurde vorwiegend ‚Schwachsinn‘ oder ‚Asozialität‘ als Diagnose gestellt. Diese Gesetzgebung und Selektion führte zu einer Grenzverschiebung, die neben der Identifikation und Ausgrenzung der ‚Fremdrassigen‘ mit der ‚Asozialität‘ eine zweite Ebene nationalsozialistischer Ausrottungspraxis fand. In einem Artikel des „Beiheftes zum Reichsgesundheitsblatt“ wurden 1938 neue Merkmale und Gruppen herausgehoben:
„Die Verminderung des Nachwuchses der erblich Kranken und Untüchtigen hängt, da diese sich nicht selbst der Fortpflanzung enthalten, von einer Erhöhung der Ausmerzquote, d.h. von einer wesentlichen Erweiterung der Möglichkeiten der gesetzlichen Unfruchtbarmachung ab. Die bisherigen Möglichkeiten der Unfruchtbarmachung […] reichen nicht aus, namentlich im Hinblick auf Kriminelle, Arbeitsscheue, Anti- und Asoziale, aber auch im Hinblick auf andere erbliche Krankheiten, die wesentliche Beeinträchtigung der Lebensuntüchtigkeit und damit Belastung des Volkes bedingen.“ Mit dem Grunderlaß „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ vom 14.12.1937 wurde „asoziales Verhalten“ als Gefährdung der Allgemeinheit angesehen und mit kriminalpolizeilicher Vorbeugungshaft und Verschleppung in Konzentrationslager verfolgt. Bereits vor 1933 fand eine Diskriminierung und Verfolgung von Menschen aus sozialen Randbereichen der Gesellschaft statt. Nach der Machtübergabe an die Nazis erfolgten Verhaftungswellen gegen BettlerInnen und Razzien gegen Straßenprostituierte. Die Informationen über ‚Asoziale‘ erhielt die Polizei häufig aus Stadtverwaltungen und von Gesundheitsämtern, aber auch von DenuziantInnen aus der Nachbarschaft.

Das Erbgesundheitsgericht

Das neu eingerichtete Erbgesundheitsgericht in Osnabrück befand sich gegenüber dem Gesundheitsamt im sogenannten Küchenflügel auf der linken Seite des Schlosses. Heute befindet sich dort u. a. der Sitz der Präsidentin der Universität. Das Erbgesundheitsgericht war dem Amtsgericht angegliedert, ihm saß hauptamtlich Amtsgerichtsrat Röpke vor. Seine Sitzungen fanden unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Anstaltsärzte wurden dort als Beisitzer eingebunden, so der Leiter der Osnabrücker Heil- und Pflegeanstalt, Dr. Albert Kracke und sein Stellvertreter, Oberarzt Dr. Berhard Jutz. Überliefert ist eine Verhandlung über eine Frau, die am 11.11.1936 stattfand, an der Osthoff und Prof. Dr. Bogendörfer als Gutachter teilnahmen. Sie kamen in dem Beschluss zu dem Ergebnis, dass die „Hausgehilfin unfruchtbar zu machen“ sei. Aufzeichnungen Krackes aus Verhandlungen zeigen, dass auch „moralischer Schwachsinn“ verfolgt wurde. Wertungen wie „arbeitsscheu, störrisch oder unmoralisch“ sind hinreichende Kriterien für eine Sterilisation.

Die restlose Beobachtung des Lebens

Neben der „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurden auch die Anträge für Ehestandsdarlehen nach dem „Gesetz über die Förderung der Eheschließungen“ geprüft. Die ständige Ausweitung der Befugnisse verdeutlicht ein Schreiben des Gesundheitsamtes Lingen vom 14.06.1936:
„Brautpaare, bei denen standesamtlich ein Ehetauglichkeitszeugnis gefordert wird, Anwärter auf ein Ehestandsdarlehen, Personen, die eine Einbürgerung beantragt haben, sämtliche Familien, die einen Antrag auf eine Kinderreichenbeihilfe gestellt haben, soweit möglich Schüler, Personen bei denen der Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt wurde, Siedler usw.“ .
Diese Personen erhielten zunächst einen Fragebogen zur Beurteilung der ‚Erbgesundheit‘ und mussten die Angaben für die Aufstellung der ‚Sippentafel‘ zu machen. Sie wurden dann eingehend untersucht, bevor ihnen das erforderliche Zeugnis ausgestellt.

Weiterhin erstellten die Gesundheitsämter Jahresgesundheitsberichte, die verschiedene Erkenntnisse aus vielfältigen Überwachungsaktivitäten zusammenfassten: hierzu gehörten Berichte von FürsorgerInnen, Akten aus Krankenhäusern und von Pflegeanstalten über Geschlechtskrankheiten und Alkoholfürsorge, wie auch Justizurteile und Ermittlungsakten bis hin zu Informationen von Hebammen. Sämtliche Lebensbereiche waren abgedeckt und erlaubten eine Erweiterung des Zugriffs, z. B. über die Schulen: LehrerInnen erstellten SchülerInnenbeurteilungen und Schulchroniken. Wer immer eine Gratifikation des NS-Staates in Anspruch nehmen wollte, musste über das Gesundheitsamt seine rassische Wertigkeit nachweisen.
Am 18. 07.1940, als viele der erfaßten Erbkranken bereits ermordet oder totgeweiht waren, erließ das Reichsinnenministerium mit den „Richtlinien für die Beurteilung der Erbgesundheit“ die gesundheitliche und soziale Einteilung der Reichsbevölkerung in vier Kategorien: „1. asoziale Personen, 2. tragbare Personen, 3. die Gruppe der Durchschnittsbevölkerung, 4. erbbiologisch besonders hochwertige Personen.“ Im Ministerialblatt hieß es zu der Personenkategorie der ‚Asozialen‘: „Asoziale sind vom Bezug jeder Zuwendung ausgeschlossen“; den „noch als tragbar anzusehenden Familien […] wird man z. B. Laufende Kinderhilfen nicht entziehen können, förderne Maßnahmen sind ihnen allerdings nicht zuzuwenden“; erst den „Durchschnittlichen“ sind „alle ehrenden und fördernden Maßnahmen wie Ehestandsdarlehen, Ausbildungsbeihilfen, Ehrenkreuz der Deutschen Mutter zuzubilligen“; die „Hochstehenden“ seien nur dann besonders zu bevorzugen, „wenn aus einer großen Zahl von Bewerbern nur wenige ausgewählt werden sollen.“
Die Beobachtung und Begutachtung der Bevölkerung erfolgte etwa in Hamburg ab 1934, ohne ihr Wissen, beim Arztbesuch. Die von den MedizinerInnen ausgefüllten Formulare wurden an die Gesundheitsbehörde weitergeleitet und dort zu einem „Zentralen Gesundheitspaßarchiv“ (GPA) zusammengefasst. Nach einem Jahr waren dort 200.000 HamburgerInnen registriert. Bis 1938 mussten noch bearbeitet werden: 3000 Akten über Homosexuelle, die seit 1935 von der Kriminalpolizei an das GPA abgegeben worden waren; 20.000 Akten aus der Tuberkolosefürsorge; 20.000 Akten über ‚Krüppel‘; 40.000 Fürsorgeakten der Sozialverwaltung; 250.000 erfaßte VerbrecherInnen bei der Kriminalbiologischen Sammelstelle; sowie 400.000 vertrauensärtzliche Gutachten der AOK.

Das Osnabrücker Gesundheitsamt mit seinen vielfältigen Aufgaben befindet sich mittlerweile als „Haus der Gesundheit“ in der Hakenstraße 6. Seine Geschichte ist bisher einer größeren Öffentlichkeit nicht bekannt. Die sozialdisziplinarische Kontrolle staatlicher und kommunaler Behörden ist in einem Sozialsystem angelegt, das ebenfalls auf Gesetzesgrundlagen basiert und gleichzeitig weite Ermessensspielräume einzelner EntscheiderInnen erlaubt. Die statistischen Möglichkeiten durch die Volkszählungen und der weniger umfassend scheinende Mikrozensus wie auch die Algorithmisierung der Gesellschaft sind immens. Die Kapitalisierung des Gesundheitssystems schreitet mit der gleichzeitigen Verknappung der Ressourcen voran.

Literatur:

Aly, Götz; Roth, Karl Heinz: Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch, überarbeitete Neuausgabe 2000, zuerst Berlin, 1984.

Ayaß, Wolfgang: „Asoziale“ im Nationalsozialismus. Stuttgart: Klett, 1995.

Berger, Eva: Als das Volk geführt wurde. Gesundheitspolitik unter’m Hakenkreuz in Osnabrück. In: Topographien des Terrors. (Hg.) T. Heese. Bramsche: Rasch, 2. korrigierte Aufl. 2015, S. 247–261.

Böhne, Lisa: „Zwangssterilisation“. Osnabrück: Antifa-Archiv, 2003.

Weingart, Peter; Kroll, Jürgen; Bayertz, Kurt: Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988.

Orte nationalsozialistischer Gewalt in Osnabrück – Kritischer Stadt-Rundgang

Orte nationalsozialistischer Gewalt
Kritischer Stadt-Rundgang

Mi. 13. 11. 2019, 16 bis ca. 18 Uhr

Treffpunkt: Cafe Mano Negra, Alte Münze 12, Durchgang AStA-Gebäude

Ausgehend vom Osnabrücker Schloß – einem zentralen Gebäude der Uni – stellen wir wesentliche Orte der NS-Stadtgeschichte in einem Rundgang vor. Bisher stecken die Untersuchungen zur Zeit des Nationalsozialismus und seinen Folgen in Osnabrück in den Anfängen.
Wir versuchen dagegen an historischen Stätten einen kritischen Überblick über die allgegenwärtige Verfolgung, Drangsalierung, Erfassung und Arisierung, Vertreibung und Vernichtung, wie auch auf die TäterInnen zu geben und auf die vielfältigen Kontinuitäten hinzuweisen.

Wir treffen uns im Café Mano Negra, Alte Münze 12 (Eingang im Durchgang gegenüber dem AStA). Der Rundgang dauert ca. 2 Stunden.
Veranstalter: Café Mano Negra

Die Mörder sind unter uns! Keine Ruhe den Nazi-Täter_innen! – Kundgebung in Oesede

Kurt Gosdek (94), 1923 in Ostpreußen geboren, genießt seinen Ruhestand als Pensionär. Er lebt, mit Blick auf den Teutoburger Wald, im beschaulichen Provinzstadtteil Alt-Georgsmarienhütte bei Osnabrück. Hier gehört er zu den Gründungsmitgliedern des „Sozialverbands Deutschland“ (SoVD), 2007 wird er für sein 60-jähriges Vereinsjubiläum geehrt. Weitgehend unbekannt ist allerdings sein früheres Leben als ehemaliges Mitglied einer mobilen SS-Einheit im ukrainischen Teil der damaligen Sowjetunion. Dort war er an Massentötungsaktionen der SS-Einsatzgruppe C beteiligt.

Die SS-Einsatzgruppen – Einleitung des Holocaust

Diese Einsatzgruppen waren Mordkommandos, die vor der Errichtung der Vernichtungslager und Todesfabriken, wie Auschwitz, Treblinka, Sobibor und weiteren, den Holocaust einleiteten. Die Einsatzgruppe C bestand aus 700 Männern, die in motorisierten Unterkommandos ein großes Gebiet durchkämmten. Sie ermordeten bereits zwischen Mitte 1939 bis 1941 besonders die jüdische Bevölkerung, aber auch Sinti und Roma, Behinderte und vermeintliche oder tatsächliche bolschewistische Kommunist_innen. Kurt Gosdek gehörte diesem Mordkommando der Waffen-SS an. Die Einsatzgruppe C ermordete bis Ende 1941 ca. 95.000 Menschen, darunter mindestens 33.770 Juden am 29. und 30. September 1941 in der Schlucht von Babi Jar in Kiew.

Von nichts gewusst…

Einem Fernsehteam des RBB (Magazin Kontraste, 28.09.2017), dass ihn vor kurzem mit den Verbrechen konfrontiert, erzählt er, dass er nur LKWs repariert habe, von den Hinrichtungen nichts mitbekommen habe, weder gehört noch gesehen. Diese Schutzbehauptung ist von Historiker_innen zurückgewiesen worden, da alle Mitglieder der Einheiten an den Mordaktionen beteiligt waren. Die Unterlagen zu seiner Einheit, die möglicherweise konkrete Beweise hätten liefern können, habe er kürzlich vernichtet, weil sich keiner dafür interessiert habe, so die Behauptungen des Pensionärs, der für seinen SS-Dienst nach wie vor eine monatliche Rente erhält.

Täter_innen bleiben unbehelligt

Zudem kann sich Gosdek der Unterstützung durch die Öffentlichkeit sicher sein. Allein schon sein hohes Alter wird als Argument dienen, einmal mehr die Forderung nach einem Schlußstrich unter sämtliche Naziverbrechen zu bekräftigen. Die Blutspur der Täter findet, sofern diese überhaupt bekannt sind und namentlich genannt werden, keine Beachtung. Es gibt bis heute keine systematische Erforschung und Dokumentation der Nazi-Geschichte dieser gewöhnlichen (Friedens-)Stadt und des mit ihr eng verbundenen Landkreises. Der ehemalige SS-Mann ist in die Mitte der Gesellschaft integriert. Seine Biographie steht für viele andere, etwa das verstorbene Mitglied der Elite-Einheit „Division ,Hermann Göring‘“ Ferdinand Osterhaus aus Osnabrück oder den Kriegsverbecher Theodor Saevecke, der in Bad Rothenfelde seinen beschaulichen Lebensabend weitgehend ungestört verbrachte.

Teilnahme und Unterstützung – Beihilfe zum Massenmord

Mittlerweile reicht für ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft jedoch auch die Beihilfe zu Mordtaten, wie die Gerichtsverfahren gegen Oskar Gröning, John Demjanjuk und seit kurzem gegen einen ehemaligen SS-Soldaten aus Nordstemmen (Landkreis Hildesheim) verdeutlichen. Durch Recherchen des Simon-Wiesenthal-Centers ist den Justizbehörden der Fall Gosdek bereits seit 2014 bekannt. Er gehört zu einer Gruppe von ca. 80 Personen, denen vorgeworfen wird, an Massentötungen direkt beteiligt gewesen zu sein oder diese unterstützt zu haben.

Mangelnde Aufarbeitung
Trotzdem bleiben die Anklagebehörden im Fall Gosdek bisher untätig; Polizei oder Staatsanwaltschaft haben ihn bislang nicht vernommen. Hoffen sie nach den Jahrzehnten der Untätigkeit – immerhin war die postnazistische Justiz ein Hort ehemaliger Nazi-Eliten – nun erneut auf die biologische Lösung, die eine Anklageerhebung erübrigt? Ist das kurze Strohfeuer der juristischen Aufarbeitung bereits wieder erloschen? Nicht zuletzt unter Berücksichtigung des jüngsten politischen Rollbacks und der Wahlerfolge der nationalistisch-rassistischen AfD, deren Kandidat_innen ihre Wähler_innen auch mit dem Verweis auf die „saubere Wehrmacht“ und gegen „Erinnerungsschandmale“ zu den Wahlurnen ziehen konnten. Immerhin ist mittlerweile gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Anzeige erstattet worden.
Georgsmarienhütte und Osnabrück kehren ihr Engagement zur Erinnerung und Aufarbeitung der NS-Geschichte immer wieder gerne hervor, etwa zur Zwangsarbeit in der Region in der Erinnerungsstätte Augustaschacht. Sie befindet sich in direkter Umgebung zu Gosdeks Haus, doch die Täter und Mörder sind unter uns. Wir fordern ein Ende dieses deutschen Normalzustands, in dem nicht einmal das Mindeste geschieht: Die Anklage gegen Kriegsverbrecher_innen.

Nichts ist vergeben – Nichts ist vergessen! Keine Ruhe den Nazi-Täter_innen!

Kundgebung: Sa. 18.11.2017
Oesede: 13 Uhr, Roter Platz
Alt-Georgsmarienhütte: 14 Uhr, Im Steinbruch

Gemeinsame Anreise aus Osnabrück: 12:15 Uhr, Rosenplatz

Volksgemeinschaft und Vernichtungswahn – Zur Innenansicht deutscher TäterInnen

Café Mano Negra, Café Résistance & Geschichtswerkstatt Regionale Täterforschung laden ein:

Veranstaltung und Vortrag zum 80. Jahrestag der Machtübertragung an Adolf Hitler am 30. Januar 1933

Mittwoch, 30.1.2013, 19 Uhr
Universität Osnabrück, Raum 22/108 (Heger-Tor-Wall 14)

Vor 80 Jahren wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Die Choreografie der soge­nannten Machtübernahme der NSDAP von der Aushebelung der Weimarer Demokratie bis zum Ausbau des auf Krieg und Vernichtungsprogramm ausgerichteten „Dritten Reiches“ ist seit langem erforscht. Wird jedoch – wie gemeinhin üblich – aus den Daten und Fakten abgeleitet, der 30. Januar sei die Initialzündung zur rücksichtslosen Machtergreifung Hitlers und der Errichtung der brutalen Diktatur einer machtversessenen Clique über das „deutsche Volk“, mithin „Deutschlands Schick­salstag“ (NOZ, 7.1.2013) gewesen, so unterschlägt dies, dass allein aus dem Machtstreben Hitlers und seiner Partei heraus sich kaum dessen Erfolg erklären lässt. Solche Verklärungen ebenso wie die in Teilen der Linken beliebte These, der Faschis­mus sei die „offene terroristische Diktatur […] des Finanzkapitals“ (G. Dimitrow), müssen konsequent ausklammern, dass es nicht nur keine nennenswerte Gegenwehr gegen die Errichtung der NS-Herrschaft gab, sondern im Gegenteil Hitlers Ziele enormen Rückhalt in der Bevölkerung fanden und weder Krieg noch Mas­senvernichtung ohne die tatkräftige Zustimmung der erschlagen­den Mehrheit möglich gewesen wären. Und so drückt sich auch in jener revisionistischen Formulierung der Neuen Osnabrücker Zeitung, die Deutschland als das eigentliche Opfer suggeriert, doch bewusstlos aus, dass der 30. Januar 1933 symbolisch für den freiwilligen Zusammenschluss der Massen zur deutschen Schicksals- und Volksgemeinschaft steht.
Warum aber haben sich die Einzelnen unter Parteiherrschaft und Führer zusammengerottet? Warum wollten sie im Kollektiv aufge­hen und haben sie gemeinschaftlich das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden und anderen als „Untermenschen“ Identifi­zierten begangen?

Diesen Fragen will der Vortrag – nach einer Rekapitulation der historischen Ereignisse – unter Rückgriff auf zentrale Er­kenntnisse der Kritischen Theorie sowie mittels einer materialistischen Re-Lektüre der Freudschen Analysen zur Massen­psychologie nachgehen. Es soll der Zusammenhang aufgewiesen werden zwischen dem notwendigen Scheitern bürgerli­cher Subjektivität einserseits, die von den Einzelnen als narzisstische Kränkung erfahren wird, sowie andererseits seiner Kompensation in den autoritären, über den Führer zusammengehaltenen Massenbewegungen und deren wahnhaftem Drang zur Vernichtung der Juden. Diese hatten und haben als die Anderen zu büßen für die Gewalt, die sich die Subjekte schon immer antun mussten, um in einer verkehrten, auf strukturellem Zwang basierenden Gesellschaft bestehen zu kön­nen.

Bericht: „Die Geige aus Cervarolo“ in Osnabrück

Am 29.10.2012 wurde im vollbesetzten Filmtheater Hasetor der Dokumentarfilm Die Geige aus Cervarolo gezeigt. Hierzu hatte die Geschichtswerkstatt Regionale Täterforschung in Kooperation mit dem Referat für politische Bildung im AStA der Uni Osnabrück eingeladen.
Aufnahmen eines nebelverhangenen italienischen Bergdorfes und seiner Bewohnerinnen und Bewohner eröffnen den Einblick in eine Gegend, in der auch nach fast 70 Jahren vieles an die durch die Wehrmacht verübten Massaker und Zerstörungen erinnert. Cervarolo steht beispielhaft für viele Dörfer in den Regionen Emilia Romagna und Toscana, in denen die deutschen Soldaten auf dem Rückzug von Nordafrika in Kollaboration mit italienischen Faschisten eine Blutspur hinterließen. Im März 1944 sollte in Cervarolo mit der Peinigung und Ermordung fast aller männlichen Bewohner, der Misshandlung von Frauen sowie der Brandzerstörung der Gebäude ein weiteres Exempel statuiert werden, um die in der Gegend neu formierten antifaschistischen PartisanInnenverbände zu bekämpfen.