Kundgebung zur Befreiung vom Nazi-Faschismus vor 75 Jahren

Wir unterstützen den Aufruf des Bündnisses 8. Mai zur
Kundgebung am Samstag, 9.5.2020, 14 Uhr, Theatervorplatz Osnabrück

Wir rufen alle Antifaschistinnen und Antifaschisten auf, der Befreiung vom Nazi-Faschismus vor 75 Jahren zu gedenken.

Am 8. bzw. 9. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos. Ganz Europa war verwüstet worden. Millionen Tote, Verwundete und Vergewaltigte forderte der zweite Weltkrieg der Deutschen. In den Konzentrationslagern und Vernichtungsstätten wurden Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, politische Gegner*, Zwangsarbeiter*, Deserteure, sogenannte Gemeinschaftsfremde und Asoziale, Soldaten der Antihitlerkoalition und unzählige andere Menschen misshandelt und ermordet. In verlustreichen Kämpfen brachten die Alliierten und Widerstandskämpfer* der Résistance den Krieg an seinen Ausgangsort zurück und zerschlugen das deutsche Militär.

Wir gedenken der Opfer des NS-Terrors und der Wehrmachtsverbrechen.

Wir erinnern an den Schwur von Buchenwald, in dem es heißt:
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Die Überlebenden von Buchenwald ahnten in ihrer Erklärung die Brüchigkeit des vorläufigen Sieges über den Nazismus.

Antifaschistischer Widerstand
Mit aller Härte musste gekämpft werden gegen ein Volk, das sich einig war im gemeinsamen Wahn der Judenvernichtung, und das sich an der Heimatfront ebenso wie im russischen Schnee bereitwillig aufopferte. Ausnahmen – Menschen, die sich nicht der nationalsozialistischen Massenbewegung anschlossen – gab es, aber ihrer waren erschreckend wenige: Kommunisten*, Linkssozialisten*, Anarchisten*, auch etliche Sozialdemokraten* und einige Konservative, Liberale oder Anhänger* anderer bürgerlicher Ideologien sowie antifaschistische oder pazifistische Christen*, junge Leute, die sich dem Mitmachen verweigerten, Edelweißpiraten* und Swing-Jugendliche. Sie wurden systematisch bekämpft, viele von ihnen endeten im Konzentrationslager, Arbeitslager und im Zuchthaus. Sie hatten auf Befreiung gehofft, von innen her oft vergeblich versucht, aktiv zur Niederlage Nazi-Deutschlands beizutragen. Andere von ihnen, die ins Exil hatten gehen müssen, beteiligten sich – z. B. durch Mitarbeit im amerikanischen Geheimdienst, im Dienst der Roten Armee oder der Organisierung von Sabotageaktionen im Reichsgebiet – von außen an diesem Versuch. In der DDR teilweise zu nationalen Helden* hochstilisiert, wurden sie in der BRD ignoriert und im wiedervereinigten Deutschland bis in die jüngste Gegenwart nur zögerlich beachtet.

Befreiung für wen?
Anders die Angehörigen der deutschen Militär- und Machteliten, die zunächst dem NS-Regime gedient, und deren wenige dann dessen Spitze auszuschalten versucht hatten, wie die Stauffenberg-Attentäter. Einige kamen mit dem Leben davon, und sie konnten sich nach dem Sieg der Alliierten durchaus befreit fühlen. Aber diese Art der Befreiung hatten sie mit ihrem Widerstand nicht herbeiführen wollen, die Niederlage Deutschlands hatten sie gewiss nicht im Sinn.
Die erschlagende Mehrheit der deutschen Bevölkerung aber war bis zum bitteren Ende regimekonform geblieben, hatte „bis zum letzten Mann“ den „Traum“ der Volksgemeinschaft zu verteidigen versucht. Noch in den ersten Mai-Tagen forderte der irrwitzige Kampf der letzten Volkssturm-Aufgebote und versprengten Wehrmachts- und SS-Einheiten, die das Helden-Walhalla der Kapitulation und Entnazifizierung vorzogen, weitere Opfer. Selbst als die Rote Armee vor der Tür stand und die militärische Niederlage unausweichlich war, ging der Massenmord in den Konzentrationslagern und auf den Todesmärschen ohne Unterlass weiter. Die deutsche Volksgemeinschaft hatte auch im Mai 1945 mit „Befreiung“ nichts im Sinn, viele hofften noch bis zum Abgang des „Führers“ auf eine militärische Wende. Zahlreiche Deutsche rechneten gar damit, dass die Koalitionen im letzten Moment noch wechseln und die westlichen Alliierten dann gemeinsam mit den Deutschen gegen den „bolschewistischen Hauptfeind“ zu Felde ziehen würden.
Wenngleich die Deutschen militärisch besiegt wurden, ergab sich nach dem 8. Mai 1945 eine höchst eigentümliche historische Situation.

Postnazistisches Deutschland
Die Anti-Hitler-Koalition konnte nicht über die konkurrenzimperiale Konstellation der Westmächte und der UdSSR hinwegtäuschen. Das Bündnis gegen Deutschland war ein Zusammenschluss auf Zeit und auf einen spezifischen Zweck hin, es betraf nicht die Vorgehensweise nach dem Sieg über den NS-Faschismus. Eben deshalb kam es in den Westzonen nach dem Mai 1945 bald dazu, dass die vom Nationalsozialismus „befreiten“ Deutschen erneut frei wurden, bestimmte ideologische Teilstücke und personelle Bestände aus der Nazizeit weiterzutradieren oder wiederzuverwenden; insbesondere frei dazu, die Front gegen den „Osten“ im Kalten Krieg zu stärken. Ohne großartige Revision wurde an den nazistischen Antibolschewismus angeknüpft. In der Bürokratie, Justiz, Ideologieproduktion und dann im wieder gebildeten Militärapparat fanden die ehemaligen NS-Leistungsträger* und -Unterstützer* erneute Verwendung. Auch die ehemaligen Wehrwirtschaftsführer waren bald wieder im Geschäft, ehemalige NS-Funktionäre* verrichteten nun Dienste für die westlichen Geheimdienstapparate.
So wurde eine konsequente Entnazifizierung der der neuen weltpolitischen Lage „angemesseneren“ Verfahrensweise geopfert. Statt der Umsetzung der einzigen Konsequenz, die aus der Geschichte hätte gezogen werden dürfen: dass es Deutschland nie wieder geben darf, wurde das „Dritte Reich“ lediglich in eine postnazistische BRD transformiert, deren Kontinuitäten bis heute fortdauern.
Auch in der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR bedienten sich die Militärverwalter* und später die „sozialistische“ Führung der Nützlichkeit ehemaliger faschistischer Funktionäre*. Allerdings geschah dies individuell, generell wurden die Funktionseliten ausgewechselt. Viele Leistungsträger* aus der Zeit vor 1945 gingen ab nach Westdeutschland. Die DDR definierte sich historisch als Produkt eines deutschen Antifaschismus. Wenngleich deutsche Gegner* des NS-Staates, die sich für das „andere Deutschland“ hielten, beim Aufbau der DDR mitwirkten, fand dieser staatlich inszenierte Antifaschismus kaum sein Gegenstück in der Bevölkerung. Durch sein unverbrüchliches Anknüpfen an nationalistische Parolen und zum Antizionismus „gewendete“ antisemitische Ideologie entlarvte er sich als der Mythos, der er von Anfang an war. Die „Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“ diente größtenteils nichts anderem als der nationalen Reinwaschung.

Organisierter Faschismus
Das Verbot faschistischer Organisationen durch die alliierten Siegermächte hatte keinen langen Bestand. Es wurde durch antisemitische und revanchistische Nachfolgeorganisationen und -parteien schon bald unterlaufen, so in der BRD durch die „Sozialistische Reichspartei Deutschlands“ (SRP, von 1949 bis 1952 aktiv; 1951 erhielt sie 11% der Stimmen bei der niedersächsischen Landtagswahl). In der DDR wurde 1948 die „National-Demokratische Partei Deutschlands“ (NDPD) zugelassen, gedacht als Auffangbecken für ehemalige Nazi-Funktionäre und Soldaten. 1964 wurde in der BRD die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) gegründet. Sie erhielt großen Zulauf und zog in mehrere Landesparlamente ein. Seit 1971 agierte die „Deutsche Volksunion“ (DVU). Ebenfalls in Länderparlamenten vertreten, gab sie bis Ende letzten Jahres u. a. die „National-Zeitung“ heraus. 1983 wurden „Die Republikaner“ (REP) gegründet, auch sie zogen in Länder- und das EU-Parlament ein. Kontinuität stiftete gleichfalls die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V.“ (HIAG). 1951 gegründet, widmete sie sich der Gleichstellung der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS mit den Wehrmachtssoldaten und der Rehabilitierung der Waffen-SS. 1978 existierten 118 Orts- und Kreisverbände. Der Bundesverband löste sich 1992 auf, einzelne Lokalgruppen existieren weiter. Vertriebenenverbände stellen bis heute die deutschen Staatsgrenzen in Frage. Ein Teil der studentischen Verbindungen und Burschenschaften pflegt die Nazi-Ideologie und füllt das Reservoir an reaktionären Eliten auf.
Zuletzt hat sich, neben allerlei Neugründungen von Neo-Nazi-Parteien wie „Die Rechte“, „Der III. Weg“ und völkischen Bewegungen wie die „Identitäre Bewegung“ und PEGIDA, besonders die populistische „Alternative für Deutschland“ (AfD) in den Parlamenten etabliert. Sie befördert mit ihren Unterstützern* und parlamentarischen Verbündeten die Normalisierung völkisch-rassistischer Politik. Gleichzeitig werden die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlost und die Erinnerung daran revidiert. Die Nazi-Herrschaft zwischen 1933 und 1945 sei nur ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte gewesen, so A. Gauland.
Der bewaffnete, international organisierte Neo-Nazismus ist seit der Gründung der BRD aktiv. Vom Attentat auf das Münchener Oktoberfest 1980 über die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ bis zur „Gruppe Freital“ und zum Attentat in Kassel zieht er mordend durchs Land. Er rekrutiert sich teils aus staatlichen Institutionen, beteiligt sind dabei Polizistinnen und Polizisten, ReservistInnen, Militärs und Elitekämpfer der Bundeswehr. Jüdisches Leben wird nicht erst seit dem Attentat in Halle angegriffen und bedroht. Tagtäglich werden Jüdinnen und Juden in der Öffentlichkeit verachtet, angepöbelt, selbst in Schulen attackiert. In Moscheen wird der islamistische Rassismus und Antisemitismus gepredigt, der sich auch mit Nazis und völkischen Konservativen verbindet: Rechter Terror und jihadistische Terroristen schließen temporäre Kooperationen. Bereits in den 1930er Jahren schlossen die Nazis Bündnisse mit dem Großmufti Mohammed Amin al-Husseini von Jerusalem.
Der Staats-Islamismus des Autokraten Erdogan und sein expansionistisches Konzept des Großtürkentums verbündet sich in der Bundesrepublik, so auch in Osnabrück mit den faschistischen ‚Grauen Wölfen‘ gegen Kurdinnen und Kurden, die von EU-Behörden zu Terroristen* deklariert und von der Justiz verfolgt werden. Die vom türkischen Staat bezahlte und gesteuerte DITIB steht in Verhandlungen mit der niedersächsischen Landesregierung über eine Grundschul-Religions-Partnerschaft, der Osnabrücker Oberbürgermeister Griesert hofiert islamistische Religionsgemeinden während des Ramadans.

Was bedeutet der Schwur von Buchenwald für den Antifaschismus heute?
Das Schlußstrich-Geheule aus allen Gesellschaftsecken will das „Nie wieder Faschismus!“ des Buchenwald-Schwurs zerbröseln, Gedenkstätten müssen sich gegen Besucher* verteidigen, die den Holocaust leugnen. Allein wenn es Opfer des Neo-Nazismus zu beklagen gibt, rufen Staatseliten nach antifaschistischem Engagement bzw. Export-Industrieunternehmen sorgen sich um ihr internationales Ansehen. Derweil läuft das Geschäft mit dem islamistischen Iran, der die Vernichtung Israels projektiert, des ersten Staates, der die Existenz jüdischen Lebens garantiert. Wer ernst macht mit dem Aufruf: „Keinen Fußbreit den Faschisten!“ wird hierzulande mit dem polizeilichen Gewaltmonopol konfrontiert und in die Schranken der freien Meinungsäußerung gewiesen. Gestattet werden Nazi-Aufmärsche wie für die verurteilte Holocaust-Leugnerin U. Haverbeck in Bielefeld. In Politik, Medien und der Wissenschaft wird mit der Totalitarismusthese das antagonistische Verhältnis zwischen Faschisten* und ihren Gegnern* in Abrede gestellt, sie setzt Antifaschistinnen und Antifaschisten mit Nazis auf eine Stufe. Antifaschistischen Organisationen wie der überparteilichen „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA), die von Überlebenden der Shoah gegründet wurde, wird mit dem Vorwurf des Extremismus unter der Aufsicht eines sozialdemokratischen Finanzministers die Gemeinnützigkeit und damit die Möglichkeit der Finanzierung durch Spenden entzogen. Hiergegen hat Antifaschismus gemeinnützig zu bleiben!
Wir fordern die Wiedereinführung des 8. Mai als Feiertag, der nur von 1950-1966 in der DDR arbeitsfrei begangen wurde.
Zugleich fühlt sich dieses Land als moralischer und Erinnerungsweltmeister. Der Anspruch jedoch, ein „Gedenken jenseits von Ritual und Schlussstrich“ zu betreiben, ist überwiegend funktional für das eigene Image im lokalen wie nationalen „Friedenslabor“. Dagegen muss ein Erinnern frei von Instrumentalisierung sein – in allen politischen Lagern. Gedenken hat nur eine Konsequenz aus dem Leiden der Opfer zu ziehen: Alles dafür zu tun, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe. Und auch wenn es in keinem Vergleich zu den Untaten des Deutschen Faschismus steht, ist der Hunger, ist das Sterben von Menschen an den Grenzen der EU zu beenden.
Die Forderungen des Schwurs von Buchenwald sind nicht eingelöst. Eine menschliche Welt des Friedens und der Freiheit bleibt zu verwirklichen. Die gesellschaftliche Grundlage, auf der der Nationalsozialismus aufbaute und die er zugleich auf schreckliche Weise aufzuheben antrat, besteht fort: der Kapitalismus. Auf Konkurrenz und die permanente Nichteinlösung des Glücksversprechens der warenförmigen Vergesellschaftungsweise reagieren die Einzelnen durch übersteigerte Identifikation mit dem eigenen Kollektiv und die Absonderung vom als feindlich wahrgenommenen Fremden, immer wieder identifiziert im Juden, der als übermächtig halluziniert wird.
Die demokratische Befreiung erinnern muss bedeuten, den antifaschistischen Kampf für eine solidarische Gesellschaft voranzutreiben. In diesem Sinne gilt unsere Solidarität zuallererst den Überlebenden, in vielen Fällen traumatisiert und bis heute nicht oder nur unzureichend entschädigt. Wir gedenken der Opfer, die in deutschem Namen leiden und sterben mussten.

Bündnis 8. Mai

Wir bitten darum, auf das Mitbringen und Zeigen jeglicher Flaggen, Transparente und Symbole zu verzichten.