8. Mai 1945 Tag der Befreiung? Ein Grund zum Feiern?

Die Gründe, an das Ende des Nazi-Faschismus, des deutschen Vernichtungskrieges und seine Opfer vor 77 Jahren zu erinnern, sind vielfältig. Wir laden deshalb am 8.5.2022 zu einer Veranstaltung ein, auf der wir Erinnerungszeugnisse präsentieren möchten und die Bedeutung und Zukunft des 8. Mai diskutiert werden.

Das Bündnis 8.Mai Osnabrück lädt zu einer Veranstaltung am 8.5.2022 um 15 Uhr im SubstAnZ, Frankenstraße 25A, Osnabrück ein.

Wir dokumentieren den Ankündigungstext:

Wir gedenken am 8. Mai der Opfer des NS-Terrors und der Wehrmachtsverbrechen in
Europa.

Wir erinnern erneut an den Schwur von Buchenwald, in dem es heißt: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Eine Welt ohne Krieg ist weiter entfernt denn je. Wir beklagen die Opfer des russischen Expansionskriegs. Der Krieg gegen die Ukraine ist ohne Einschränkung zu verurteilen. Kriegsflüchtlinge müssen ohne Unterschied in der Bundesrepublik aufgenommen und unterstützt werden.

Wir trauern um Boris Romantschenko, einen Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz,der im Alter von 96 Jahren bei einem russischen Luftangriff in Charkiw getötet wurde. Weitere Überlebende der Shoah und des Zweiten Weltkrieges werden heute abermals durch den russischen Krieg mit dem Tod bedroht.
Eva Fahidi, 96-jährige ungarische jüdische Überlebende des Holocaust, sagte: „Alles, wofür wir nach unserer Befreiung aus Auschwitz, Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen in den letzten Jahrzehnten gelebt haben, wofür wir aufgestanden sind und warum wir mit jungen Menschen in Europa unsere Erinnerungen geteilt haben – all dies entehrt und missachtet Putin mit seinen Generälen. Es hieß immer, wir, die Überlebenden der Lager, seien das Gewissen der Welt. Putin hat kein Gewissen, er hat mit uns nichts zu tun, Schande über ihn und seine Lügen. Unsere Gedanken gehen in diesen Tagen zur Familie von Boris Romantschenko und zu allen Überlebenden des Holocaust in der Ukraine, die unter russischen Bomben um ihr Leben fürchten. Sie gehen aber auch zu den Eltern der jungen russischen Soldaten, die Putin in diesem Krieg verheizt hat und die gefallen sind.“

Der 8. Mai fordert immer wieder zu einer historischen Positionierung heraus: Ist er ein Tag der Befreiung, gab es einen Neuanfang, eine ‚Stunde Null‘? Haben sich die politisch-ökonomischen Verhältnisse, auf denen der Nationalsozialismus fußte, maßgeblich geändert? Er verlangt entsprechend nach einer aktuellen politischen Stellungnahme. Dies zeigen besonders deutlich die deutschen Reaktionen auf den Krieg gegen die Ukraine.

Der Außenpolitiker Röttgen (CDU) etwa spricht bereits in den ersten Tagen der russischen Invasion von einem russischen „Vernichtungskrieg“; eine bewusste sprachliche Anlehnung an die von den Nazis geplante ‚Endlösung‘, die industriell betriebene Auslöschung der jüdischen Bevölkerung und von Sinti und Roma in Europa, wie auch an den damit einhergehenden Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht, die besonders in den eroberten und besetzten Gebieten in der Sowjetunion und in Süd- und Südost-Europa Kriegsverbrechen beging. Bis heute werden hierfür geforderte Reparationszahlungen und Entschädigungen etwa an Griechenland und Polen verweigert. Die historisch sich verbietende Gleichsetzung des russischen Krieges gegen die Ukraine mit den Nazi-Verbrechen wird von der politisch-medialen Öffentlichkeit aufgegriffen und Teil der folgenden Kriegsberichterstattung.

Die vielfältigen Versuche, den deutschen Vernichtungs- und Ausrottungskrieg in Europa zu funktionalisieren und zu relativieren, sind zurückzuweisen.

Der Historiker Schlögel fordert kurz nach dem Beginn des russischen Aggressionskrieges von der internationalen Öffentlichkeit, wie im Spanischen Bürgerkrieg Internationale Brigaden zu bilden. Seine Forderung reiht sich ein in die
vielfältigen Herabsetzungen und Instrumentalisierungen des antifaschistischen Kampfes und Widerstands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die gleichzeitig in Spanien
stattfindende Soziale Revolution (1936/1937), die eine libertäre Form des Zusammenlebens erstrebte, erwähnt er nicht. Sie wurde bereits damals von der Kommunistischen Internationale bekämpft und diffamiert. Es geht ihm allein um
die militärische Intervention.

Die Forderungen nach einer Militarisierung der deutschen Interessenpolitik und der Aufrüstung der Bundeswehr werden tagtäglich mit einer aggressiveren Kriegsrhetorik befeuert. Für die deutschen Kampfverbände wird allenthalben Respekt und Anerkennung gefordert. Die Wehrpflicht soll reaktiviert oder ein Pflichtdienst
eingeführt werden. Die Grenzen zwischen militärischer und ziviler Intervention, etwa in der Corona-Pandemie, werden aufgeweicht. Das apokalyptische und vielfältig auslegbare Bild der „Zeitenwende“ (Scholz, SPD) wird bemüht, um auf die Kriegsökonomie einzustimmen, die gleichzeitig zur Rechtfertigung der weiteren
Zerstörung der Umwelt genutzt wird (Habeck, Grüne), eine Folge der diskutierten Reaktivierung der Atomkraft und Kohleverstromung. Lindner (FDP, zu Beginn der 1950er Jahre ein Sammelbecken von Altnazis, später von Islamfreunden) fordert derweil einschneidende wirtschaftliche Einschränkungen und „Entbehrungen“, die dazu führen werden, „den Gürtel enger zu schnallen“. Merz (CDU) pflichtet volksgemeinschaftlich bei: Der „Höhepunkt unseres Wohlstandes“ liege hinter uns. Indessen verspricht Baerbock (Grüne), Russland werde „ruiniert“ werden.

Während die Gedenkstätten in der Bundesrepublik aus dem Boden sprießen und Deutschland als viel gerühmter ‚Erinnerungs-Weltmeister‘ Karriere macht, werden Militarisierung und Nationalismus befördert. Kriegsehrendenkmäler preisen noch immer den „Ruhm für den deutschen Soldaten“ und Alt- und Neonazis fordern „Ruhm für die Waffen-SS“, während deutsche Politikerinnen parteiübergreifend den „Ruhm der Ukraine“ (Slawa Ukrajini) aufwärmen (von der Leyen, CDU, Graf Lambsdorff, FDP, Bundestags-Vizepräsidentin Göring-Eckhardt, Grüne). Dieser Schlachtruf, einst vom ukrainischen Faschistenführer Stepan Bandera und seiner Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) verwendet, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland verbunden war und als Nazi-Hilfstruppe an der Ermordung zehntausender Jüdinnen und Juden, Polinnen und Polen beteiligt war, wird seit 2018 als offizieller Gruß der ukrainischen Streitkräfte verwendet.

Die SPD hat eine Tradition als Kriegspartei: 1914 genehmigte sie die Kriegskredite für den Ersten Weltkrieg. 1999 führte sie die Bundesrepublik zusammen mit den Grünen in den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, deren Minister Fischer rechtfertigte die Entscheidung mit dem Verweis auf Auschwitz.

Auch die alte Personalisierung ‚Hitler war Schuld‘, die die deutschen Weltkriegsverbrechen nach 1945 entschuldigen sollte, feiert neuerlich ihre Rückkehr, wenn Historiker wie Winkler überlegen, „was Putin mit Hitler verbindet“. Die Gleichung „Putin = Hitler“ ist mittlerweile täglich präsent. Deutlich zu kritisieren ist allerdings Putins völkische Rede großrussischer Expansion und seine ‚antifaschistische‘ Phrase, die behauptet, dass die russische Armee die Ukraine befreien müsse. Zugleich ist es wohlfeil, Putins Imperialismus zu kritisieren, während die deutsche Hegemonie in Europa und die internationale Politik im Interesse der Kapitalsouveränität verklärt werden.

Das ist das Dilemma, mit dem sich der Antifaschist konfrontiert sieht:
Wer soll welche Vorkehrungen treffen, um die bestehende relative Freiheit bei Anerkennung ihrer Beschränktheit und Exklusivität verteidigen zu können – militärisch wie diskursiv? Dabei ist die innen- wie geopolitische und historische Situation der BRD eine ganz andere als die beispielsweise der baltischen Staaten oder gar Israels.

Bündnis 8. Mai Osnabrück