Bericht: „Die Geige aus Cervarolo“ in Osnabrück

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In Die Geige aus Cervarolo folgt die Kamera den Angehörigen und GefährtInnen der Opfer; der Film gibt ihnen eine Stimme. So erzählt Remo Monti vom letzten Abschied mit seinem Bruder, der zum Kriegsdienst musste und ihm sein Akkordeon überließ. Italia Costi beschreibt den Grundriss ihres Geburtshauses vor dessen vollständiger Zerstörung. Ihre Rekonstruktion wird durch die Erinnerungen Italo Rovalis ergänzt. Weil dessen Vater vor Antritt des Kriegsdienstes seine wertvolle Geige seiner Mutter zur Verwahrung anvertraut hatte, überstand das Instrument das Wehrmachtsverbrechen – anders als die 24 getöteten Männer des Dorfes. Damit wird die Geige zum Symbol für den Einspruch gegen das Verschweigen und Vergessen der Massaker der Nationalsozialisten. Gespielt von Emanuele Reverberi begleitet sie die ZuschauerInnen durch den Film und untermalt so das Konzept der Filmemacher, Bereiche des gegenwärtigen Alltags wie das regionale Handwerk, das Volkstheater, die Kirchengemeinde und den Dreschplatz von Cervarolo mit den Ereignissen von 1944 in Verbindung zu bringen.

Damit diese nicht allein im lokalen Gedächtnis verbleiben, sondern in der Öffentlichkeit als historische Wahrheit festgehalten werden können, entschließt sich eine Gruppe DorfbewohnerInnen, unterstützt von Mitwirkenden des Geschichtsinstituts Istoreco, als ZeugInnen in einem der wenigen juristischen Prozesse gegen ehemalige Offiziere und Unteroffiziere der deutschen Wehrmacht auszusagen. Für die überwiegend sehr alten Menschen ist die mehrfache Fahrt zum Gericht ins 170 km entfernte Verona zwar mühsam – sie bedeutet jedoch erstmals die Gelegenheit, ihre Erlebnisse öffentlich zu schildern. Die Momente des Alltags, aus denen der Überfall auf das Dorf die Menschen jäh gerissen hat, und die kompromisslose Entschlossenheit der Deutschen zur Vernichtung kommen hier ebenso zur Sprache wie die Verstümmelung der Opfer.

Da der Film keine lückenlose Darstellung liefert, sondern vielmehr einen fragmentarischen Eindruck gewährt, regt er zu Fragen bezüglich des historischen Kontextes, der Lebensumstände der Überlebenden und der aktuellen Gerichtsprozesse an. Solche Fragen flossen auch in die Publikumsdiskussion mit den Regisseuren Nico Guidetti und Matthias Durchfeld ein, die sich im Anschluss an die Filmvorführung entwickelte. Hier stellte Durchfeld klar, dass es sich bei den Massakern in den norditalienischen Dörfen keinesfalls um reguläre Kriegshandlungen, sondern um Kriegsverbrechen handelte. Diese juristische Bestimmung ergänzte er durch eine Einschätzung des Vorwurfs, die DorfbewohnerInnen hätten immerhin die Aktivitäten irregulärer Kampfgruppen unterstützt: Wer in einem Gebiet lebt, das von brutalen nationalsozialistischen und faschistischen Kampfverbänden besetzt ist, und wer weiß, dass diese unzählige Menschen deportieren und umbringen, tut kein Unrecht damit, antifaschistischen PartisanInnen aus der Umgebung mit Käse oder Milch zu helfen.

Zur Situation der Überlebenden und Angehörigen führten die beiden Regisseure aus, dass viele von jenen in der Nachkriegszeit nahezu mittellos waren und das Leben in den überfallenen Dörfern bis heute von materiellen und persönlichen Sorgen geprägt ist. Zusätzlich unterstrichen Guidetti und Durchfeld, welche Bedeutung es für die ZeugInnen hatte, vor Gericht auszusagen. Waren diese bisweilen vom Schrecken der eigenen Erinnerungen, aber auch von der angespannten Stimmung unter Verteidigern, Richtern und Staatsanwälten überwältigt, konnten sie dennoch in diesem Rahmen ihr wichtiges Anliegen durchsetzen, öffentlich Gehör für ihre Erlebnisse und ihre Forderung nach Gerechtigkeit zu erhalten. Vor diesem Hintergrund steht auch die Beurteilung der vergangene Woche in zweiter Instanz in Rom verkündeten Freisprüche für die angeklagten ehemaligen Wehrmachtsangehörigen Köppe, Odenwald und Osterhaus. Es gebe, so Durchfeld, neben der mangels belastender Beweise erklärten juristischen Wahrheit noch eine mithilfe der ZeugInnenaussagen feststellbare historische Wahrheit. Für diese Wahrheit gilt es einzutreten, die oftmals hinter dem formalisierten Bezug auf die Verbrechen, wie er anhand von juristisch verwendbaren Anhaltspunkten und Belegen genommen wird, zurücktritt oder betriebsam verschwiegen und verdrängt wird.