Widerstand und jüdisches Leben (1940–1945) in Osnabrück-Eversburg – eine verwehrte Erinnerung

Ein Besuch in der Baracke 35 des Offizierslagers OFLAG VI-C

Am Tag des offenen Denkmals zog es uns ins Landwehrviertel. Wir besuchten den Verein für den Erhalt der Baracke 35, die sich am Rande des Neubau-Areals an der Landwehrstraße befindet. Dort steht die letzte erhaltene Baracke des OFLAG VI-C. Über seine Geschichte informieren eine umfangreiche Ausstellung und einzelne Dokumente. Zwei Vertreterinnen des Vorstands erklärten uns die Geschichte ihrer Arbeit und Ziele.

Die Flachbaracke war Teil eines kontinuierlich ausgeweiteten Gefangenenareals, das bis zu 60 Baracken umfasste. In dem zentralen Gefangenenlager wurden unterschiedliche Häftlingsgruppen interniert. Dort befanden sich überwiegend Kriegsgefangene, etwa ca. 6.000 Offiziere der jugoslawischen Armee, anfänglich auch ca. 700 französische Kriegsgefangene, später auch Zwangsarbeiter, die Arbeitsorte verlassen hatten und politische Gefangene.

Nach Kriegsende diente das Lager als Sammelunterkunft für Displaced Persons, bevor es ab 1950 bis 2008 von der Britischen Armee genutzt wurde. Mittlerweile wird das Areal als Landwehr-Neubauviertel von verschiedenen Immoblienfirmen unter Beteiligung der Stadtwerke Osnabrück vermarktet.

Krieg gegen Jugoslawien

Das Königreich Jugoslawien zog Ende März 1941 seinen Beitritt zum Dreimächtepakt mit den faschistischen Bündnisstaaten Deutschland, Italien und Japan zurück. Die deutsche Wehrmacht griff daraufhin Anfang April 1941 Jugoslawien ohne Kriegserklärung an. Zur Brechung des Widerstands flog die deutsche Luftwaffe verheerende Luftangriffe auf zahlreiche jugoslawische Städte, darunter die Hauptstadt Belgrad, die zwischen dem 6. und 7. April 1941 systematisch zerstört wurde. Nach der Kapitulation Mitte April 1941 wurde das Land von der deutschen Wehrmacht besetzt und nach ethnischer Zugehörigkeit in einzelne kollaborierende Volksteile aufgeteilt. Nazi-Deutschland erkannte den neuen unabhängigen Staat Kroatien, der mit dem Deutschen Reich kollaborierte, diplomatisch an. Die meisten slowenischen, bosniakischen, kroatischen, ungarischen, deutschen (donauschwäbischen) und mazedonischen Soldaten, etwa die Hälfte der jugoslawischen Armee, wurde freigelassen.

Nach Osnabrück

Über 6.000 serbische und montenegrinische Offiziere und ca. 330.000 Unteroffiziere und Mannschaften wurden nach Nazi-Deutschland verschleppt. 10.000 von ihnen wurden in dem Offiziersgefangenenlager XIII B in Nürnberg-Langwasser konzentriert. Nachdem dieses Lager überfüllt war und die antifaschistischen Gefangenen sich weigerten eine Loyalitätserklärung zu unterzeichnen, werden sie separiert und in den ehemaligen Kasernenbaracken in Osnabrück inhaftiert. Das Lager wird beständig erweitert bis 1943 entsteht dort das zweitgrößte Offizierslager innerhalb Nazi-Deutschlands.

Das Kriegsgefangenenlager war nach außen durch Stacheldraht und Wachtürme streng abgeschirmt. Die Gefangenen dürften nicht arbeiten, jeglicher Kontakt zur Außenwelt wird durch die Wachmannschaften mit Waffengewalt unterbunden. Die Lebensverhältnisse waren primitiv und die Verpflegung auf ein Minimum beschränkt.

Der Lagerkosmos

Nicht nur die nationale Zusammensetzung des Lagers war sehr heterogen. Auf engstem Raum lebten Gefangene aus unterschiedlichen Regionen, mit unterschiedlichen politischen und religiösen Orientierungen, die sich teilweise feindlich gegenüber standen.

  • Die Anhänger der königlichen jugoslawischen Exilregierung in London
  • Unterstützer der jugoslawischen Kollaborationsregierung Nedić, die die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung unterstützten. Sie hofften auf vorzeitige Entlassung und wurden von der deutschen Lagerleitung bevorzugt
  • antifaschistische und kommunistische Gefangene, die den jugoslawischen Partisan*innenkampf befürworteten und unterstützen, ihr Einfluss in der Lagergesellschaft nahm mit Kriegsverlauf zu
  • sowie die jüdischen Gefangenen, die von einer Entlassung ausgenommen waren und gemeinsam mit den kommunistischen Offizieren in einem gesonderten Barackenbereich innerhalb des Lagers isoliert wurden. Sie waren antisemitischen Angriffen sowohl von den Bewachern wie auch von Mitgefangenen ausgesetzt.

Selbstorganisation und Selbstbehauptung

Ein wesentliches Moment für das Überleben im Lager war die Durchsetzung der Anwendung der Genfer Konvention zur Behandlung der Häftlinge durch juristisch versierte Gefangene gegenüber der Lagerleitung. Deshalb wurden die Kriegsgefangenen entsprechend ihrem Rang behandelt. Sie behielten ihren Offiziersrang, ihre Uniform und mussten vor allem keine Zwangsarbeit leisten, wie etwa die russischen und polnischen Kriegsgefangenen. Hierdurch verbesserten sich ihre Überlebensmöglichkeiten, trotz der mangelhaften Ernährungslage, erheblich.

Unter den Offizieren befanden sich Universitätsprofessoren, ehemalige Minister und Abgeordnete, Richter, Generäle sowie zahlreiche Intellektuelle, Schriftsteller und Avantgarde-Künstler. Sie versuchten ihr Leben in der Gefangenschaft so weit wie möglich selbstbestimmt zu gestalten. Es wurden Vorlesungen in verschiedenen Wissensbereichen und Sprachkurse organisiert, wissenschaftliche und berufliche Arbeitsgruppen gegründet. Dabei entstanden zahlreiche künstlerische Arbeiten, Portraitzeichnungen von den Gefangenen, Theater- und Konzert-Ensemble sowie zahlreiche Sportgruppen, u.a. mehrere Fußballmannschaften.

Sabbath im Lager – eine jüdische Gemeinde in Nazi-Deutschland

Die jüdischen Gefangenen bewahrte die Anerkennung als Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention vor der sicheren Deportation und Ermordung in den Vernichtungslagern. Gleichzeitig wurde die Ausübung der Religion ermöglicht. Bereits bei ihrer Ankunft waren die ca. 400 jüdischen Gefangenen separiert worden, sie mussten ein Abzeichen mit der Aufschrift „Jude“ tragen. Die alltägliche Stigmatisierung führte zu Drangsalierungen und antisemitischen Angriffen durch die deutschen Bewacher, wie auch durch Mitgefangene.

Unter den Gefangenen befand sich ein Rabbiner, der die jüdischen Offiziere als Militärgeistlicher betreute, Hermann Helfgott, der sich in Israel später Zvi Asaria nannte. Er hatte bereits im Nürnberger Lager Informationen über die Deportationen der jüdischen Bevölkerung im besetzten Jugoslawien erhalten, wie er sich in seinen Aufzeichnungen erinnert. Im Osnabrücker Kriegsgefangenenlager konnten die jüdischen Gefangenen die religiösen Feiertage begehen und den wöchentlichen Sabbath feiern. Sie bildeten eine zwar kleine, aber aktive jüdische Gemeinde, eine seltene Ausnahme in Nazi-Deutschland.

Straflager und Widerstand

Die Möglichkeit den Kriegsgefangenenstatus für ein minimales jüdisches Leben zu nutzen hing auch mit der deutschen Besatzungspolitik in Jugoslawien und dem dort installierten Marionettenregime der Nedić-Regierung zusammen. Der Reichsbevollmächtigte des Auswärtigen Amtes Felix Benzler mahnte im Juni 1941 „rasche und drakonische Erledigung [der] serbischen Judenfrage“ an, forderte bereits im März 1942, dass die serbisch-jüdischen Gefangenen von den nicht-jüdischen Gefangenen strikt getrennt werden sollten. Die serbischen und jüdischen Antifaschisten wurden jedoch auch von einem Teil ihrer Mitgefangenen als ‚jüdisch-bolschewistische‘ Propagandisten bei der Lagerleitung denunziert. Hierauf wurden die beiden Gefangenengruppen in ein extra umzäuntes Straflager innerhalb des Lagers konzentriert.

Die Abschottung führte jedoch auch zu verstärktem Widerstand. Die Gefangenen in den dortigen Baracken organisierten einen antifaschistischen Rat, der für eine unabhängige Informationsbeschaffung einen Radioempfänger baute, mit dem der Kriegsverlauf verfolgt wurde, und gab eine Lagerzeitung heraus. Waffen wurden im Tausch gegen Lebensmittel von den Wachen beschafft und versteckt, Dokumente zur Flucht gefälscht. Zwischen Kommunisten und Zionisten fanden intensive Diskussionen über die Zukunft nach der Nazi-Herrschaft statt.

Luftkrieg

Am Abend des 6. Dezember 1944 griffen britische Kampfflugzeuge das Lager in der Annahme an, dass es sich um ein Wehrmachtsareal handele. Bisher glaubten die inhaftierten Offiziere, dass das Lager vor den Bombenangriffen der Alliierten sicher sei. Doch nachdem die deutsche Wehrmacht Luftabwehrgeschütze in der unmittelbaren Nähe des Lagers positionierte wurde es zum Ziel alliierter Luftangriffe. Die Gefangenen waren den Bomben schutzlos ausgeliefert, die Schutzräume waren den Wachmannschaften vorbehalten. Zwei Holzbaracken wurden durch ein Feuer zerstört. 116 Gefangene starben sofort, mindestens eben so viele wurden schwer verwundet und starben zum Teil später an ihren Verletzungen.

Befreiung

Gegen Kriegsende wurden die jüdischen und antifaschistischen Gefangenen auf Todesmärschen in andere Lager verlegt. Insgesamt war die Situation der Kriegsgefangenen deprimierend, ihre Versorgungslage war desolat und ihre Lebensbedingungen entsprachen nicht den Minimalstandards der Genfer Konvention. Es starben über 100 Offiziere an Lungenentzündung, Tuberkulose und anderen Krankheiten. Der Kommandeur des Lagers Blümel erließ einen allgemeinen Schießbefehl an die Wachsoldaten, hierdurch wurden Gefangene verletzt und getötet. Wegen der Verstöße gegen die Genfer Konvention wurden Blümel und zwei seiner Offiziere nach der Befreiung in Belgrad vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt, weitere Beteiligte zu zwanzig Jahren Haft.

Rund 4000 Gefangene kehrten in die nach der Befreiung von der deutschen Besatzung errichtete Republik Jugoslawien zurück. Ein großer Teil der königstreuen Offiziere blieb als Displaced Persons in West-Deutschland, sie errichteten die serbisch-orthodoxe Kirche an der Wersener Straße im Stadtteil Eversburg.

Verwehrte Erinnerung – Gegen das Vergessen

Mit Beginn der 1950er Jahre nutzte das Barackengelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlager sechzig Jahre lang die britische Armee. Nach ihrem Abzug wurde der Verein Baracke 35 Atter-Osnabrück e.V. von den Nachkommen der ehemaligen Kriegsgefangenen und Osnabrücker*innen gegründet, mit dem Ziel den historischen Ort zu erhalten. Die Stadt Osnabrück zeigte sich nicht kooperativ. Ihr Ziel bestand in der Verwertung der gesamten Bereichs für ein Neubauviertel, das Landwehrviertel. Trotz weiterer Initiativen mussten die Baracken, bis auf zwei Gebäude der großflächigen Bebauung weichen. Die beiden letzten Baracken, eine davon steht mittlerweile unter Denkmalschutz, die andere wird von den Stadtwerken als Baubüro benutzt, sind die letzten Zeichen der NS-Gewaltgeschichte und des Widerstands in Osnabrück-Eversburg.

Die andauernde Verweigerung diesen Ort als ein Mahnmal des Vernichtungskriegs und der Shoah zu erhalten, erinnert an die ebenfalls jahrzehntelange Gleichgültigkeit der Stadtoffiziellen gegenüber dem Terrorort der Gestapo-Behörde im zentralen Schloss, wie auch das im Landkreis gelegene Arbeitserziehungslager Augustaschacht. An beiden Orten wurde erst auf langjährigen Druck der Öffentlichkeit Gedenkstätten eingerichtet.

Die NS-Geschichte des Stadtteils ist jedoch weit umfassender: Über den Bahnhof Eversburg wurden Zwangsarbeiter*innen, unter anderen sowjetische Kriegsgefangene, aus peripheren Straflagern etwa zum Steinbruch am Piesberg transportiert. Und die ‚Papenhütte‘, ein Ort der sozial-rassistischen Bekämpfung und Vernichtung Osnabrücker Sinti, befand sich in direkter Nachbarschaft. Hierauf gehen lokale Veröffentlichungen jedoch nicht ein. Die Baracke 35 könnte langfristig und beispielhaft als ein zentraler Erinnerungsort zur Stadtteil-NS-Geschichte wie auch für die dringend notwendige aktuelle politische Bildung gegen Antisemitismus und Rassismus genutzt werden. Hierfür gilt es vorhandene Initiativen zu unterstützen und zu mobilisieren.

Literatur- und Online-Hinweise

Homepage Antikriegsbaracke 35

Antikriegsbaracke Atter-Osnabrück e.V., (Hg.) Schicksale und Geschichte(n): Das Wunder von Osnabrück. Der europäische Mikrokosmos des Kriegsgefangenenlagers Oflag Vlc: Katalog zur Ausstellung „Offizierslager Vlc – Kriegsgefangene in Osnabrück“: Baracke 35. Antikriegsbaracke Atter-Osnabrück e.V, o.O., 2021.

Asaria, Zvi. Wir sind Zeugen. (Hrsg.) Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung und Institut für Sozialgeschichte BraunschweigBonn, Hannover, 1975.

Junk, Peter; Martina Sellmeyer. Stationen auf dem Weg nach Auschwitz: Entrechtung, Vertreibung, Vernichtung. Juden in Osnabrück 1900–1945. Ein Gedenkbuch. 3. Aufl, Bramsche: Rasch, 2000, S. 212–216.

Musch, Sebastian, u.a. „Hermann HelfgottZvi Asaria (1913-2002). Biografie, Gewaltmigration und jüdische Geschichte zwischen Niedersachsen, Deutschland und Israel“. Osnabrücker Mitteilungen Bd. 124, 2019, S. 261–271.

Sellmeyer, Martina. „Das ehemalige Kriegsgefangenenlager OFLAG VI C in Eversburg. Ein verkannter Geschichtsort von herausragender Bedeutung und Aktualität“. Osnabrücker Rundschau, 17. April 2025.

Orte nationalsozialistischer Gewalt – Kritischer Stadtrundgang Sonntag 26.10.2025, 15 Uhr, Stadtbibliothek Osnabrück

In Osnabrück gibt es keinen umfassenden Erinnerungsort zur Nazi-Geschichte. Im Gegenteil: Viele historische Stätten werden von der aktuellen Nutzung bestimmt, verbergen ihre Rolle in der Nazi-Zeit.
Das städtische Marketing konzentriert sich auf zweifelhafte Repräsentanten, wie die Diskussion um das Wirken Hans Calmeyers und die eröffnete Villa_ zeigt.
An historischen Stätten geben wir einen kritischen Einblick in die allgegenwärtige Verfolgung, Drangsalierung, Erfassung und „Arisierung“, Vertreibung und Vernichtung wie auch auf die Täter*innen und weisen auf die Kontinuitäten hin.

Orte nationalsozialistischer Gewalt – Kritischer Stadtrundgang, Freitag 25.10.2024, 16 Uhr

Im Rahmen der kritischen Erstiwochen der Kleinen Strolche geht es los am Freitag, 25.10.2024, 16 Uhr Café Mano Negra, Alte Münze 12, Osnabrück, Dauer ca. 2 Stunden.

Ausgehend vom Osnabrücker Schloss, einem zentralen Gebäude der Uni, stellen wir wesentliche Orte der NS-Stadtgeschichte in einem Rundgang vor. In Osnabrück gibt es keinen umfassenden Erinnerungsort zur NS-Geschichte. Im Gegenteil:
Viele historische Stätten werden von der aktuellen Nutzung bestimmt, verbergen ihre Rolle in der Nazi-Zeit. Das städtische Marketing konzentriert sich auf zweifelhafte Repräsentanten, wie die Diskussion um das Wirken Hans Calmeyers und die gerade eröffnete Villa_  zeigt.

Wir versuchen, an historischen Stätten einen kritischen Einblick in die allgegenwärtige Verfolgung, Drangsalierung, Erfassung und „Arisierung“, Vertreibung und Vernichtung wie auch auf die Täterinnen und Täter zu geben sowie auf Kontinuitäten hinzuweisen.

Eine Nachbetrachtung zur Kundgebung „Solidarität mit Israel und Jüdinnen und Juden weltweit“ am 7. Oktober 2024

Aus Anlaß des Jahrestags des islamistischen Terrorangriffs auf Israel versammelten sich ca. 120 Antifaschist*innen, darunter viele Mitglieder jüdischer Gemeinden auf dem Marktplatz in Osnabrück zu einer Kundgebung. Sie stand unter dem Motto „Solidarität mit Israel und Jüdinnen und Juden weltweit“. In dem Aufruf des hierzu gebildeten Bündnisses 7.10. wurden Forderungen aufgestellt, die das Existenzrecht und die Verteidigung des Staates Israel bekräftigten und zur internationalen Bekämpfung des Antisemitismus in all seinen Formen aufriefen.

In mehreren Redebeiträgen wurden verschiedene Aspekte des brutalsten Pogroms seit der Shoah angesprochen. Einleitend wurde der Trauer um die ermordeten Geiseln Ausdruck gegeben und die dringliche Freilassung der verschleppten Geiseln gefordert, die auch auf Plakaten bestärkt wurde. Hieran schloss sich die Kritik der mangelnden Solidarität mit Israel in ihren unterschiedlichen Formen an, darunter die gesellschaftsübergreifende BDS-Kampagne, die „mit Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen versuchen, Israel in vielfältiger Art zu boykottieren, von Investitionen und Handel abzuschneiden, mit Sanktionen zu belegen, kulturell zu isolieren und zu diskreditieren“, wie ein Redebeitrag hervorhob.

Ein weiterer Beitrag kritisierte die vielfältige Entsolidarisierung durch staatliche Organisationen und Teile der deutschen Mehrheitszivilgesellschaft, die hierbei ihre eigene antisemitische und rassistische Orientierung ausdrücke, wie die Verdammung und Bekämpfung Israels durch sich selbst fortschrittlich sehende und linke Aktivist*innen weltweit. Weiterhin stellte er den Gegensatz des oftmals positiv herausgestellten jüdischen Lebens, etwa zuletzt bei den 1700-Jahr-Feiern jüdischen Lebens im Gebiet des heutigen Deutschlands, und die aktuell immer wieder bemühten doppelten menschenrechtlichen Standards gegenüber Israel auf der einen und in den palästinensischen Gebieten andererseits hervor.

Ein etwas ausführlicher Redebeitrag befasste sich mit den lokalen Formen von Antisemitismus und Anti-Israelismus. Hierbei wurde nicht nur auf die vermeintlich pro-palästinensischen Kundgebungen und Demonstrationen verwiesen, die Israel dämonisieren und dessen Zerstörung fordern, sondern ebenfalls auf die mangelnden Reaktionen der Politik und Universität im Zusammenhang mit dem Terrorangriff hingewiesen. Gleichfalls wurden die islamistischen und antisemitischen Aktivitäten der Grauen Wölfe und von Palästina Spricht angesprochen. Schließlich auf Personen hingewiesen, die im Institut für Islamische Theologie der Universität oder dem Islam-Kolleg, dort ist die Erdogan-Abhängige DITIB und die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland ein Bündnispartner, nach ihrer Ausbildung durch islamistische und faschistische Aktivitäten aufgefallen sind. Hieraus wurde die Forderung aufgestellt, sich vermehrt mit diesen Strukturen und Organisationen kritisch zu beschäftigen.

Neben einem spontanen Beitrag von Reinhart Richter ging die Geschichtswerkstatt regionale Täterforschung kurz auf die erinnerungshistorische Bedeutung des Versammlungsorts ein. Zum Ausklang wurde die israelische Nationalhymne gespielt.

Leider erhielt die Kundgebung eine geringe mediale Aufmerksamkeit. Während die Hasepost auf die Kundgebungsbeiträge nicht einging, versuchte die Osnabrücker Rundschau in ihrer Ankündigung, die Kundgebung zu vereinnahmen. Die NOZ berichtete nicht, sondern druckte im Vorfeld ein längeres Interview, das anscheinend den Eindruck erwecken sollte, dass jüdisches Leben in der Friedensstadt Osnabrück nicht gefährdet sei, der dann noch eine palästinensische Stimme gegenübergestellt wurde. Diese Argumentation, die den objektiven Bedingungen jüdischen Lebens und seinem Alltag Hohn spricht, was nicht nur die erforderliche Bewachung der Synagoge immer wieder vor Augen führt.

Osnabrück ist kein Friedens-Eiland in der antisemitischen Normalität, die durch ihr Verschweigen leider nicht in ihrer Gefährlichkeit entschärft wird. Wir wünschen uns weitere praktische Initiativen, die sich gegen diesen Irrglauben stellen und die wir gerne antifaschistisch unterstützen.

Geschichtswerkstatt trifft „Den Rechten die Räume nehmen“ zum kritischen antifaschistischen Rundgang in Osnabrück

Die Geschichtswerkstatt trifft am Sonntag 8. Septmber 2024 die antifaschistische Mitmachkampagne Den Rechten die Räume nehmen. Los geht es um 16 Uhr von der Stadtbibliothek durch die Osnabrücker Innenstadt. Wir werden historische Orte der Nazi-Geschichte besuchen, wie auch ihre aktuelle Erinnerungsgeschichte aufzeigen.

Orte nationalsozialistischer Gewalt – Kritischer Stadtrundgang Freitag 3. 11. 2023, 16 Uhr

Im Rahmen der kritischen Erstsemester-Wochen  treffen wir uns um 16 Uhr im Café Mano Negra, Alte Münze 12 (Durchgang AStA-Gebäude)

Ausgehend vom Osnabrücker Schloss, einem zentralen Gebäude der Uni, stellen wir wesentliche Orte der NS-Stadtgeschichte in einem Rundgang vor. Die Untersuchungen zur Zeit des Nationalsozialismus und seinen Folgen in Osnabrück stecken in den Anfängen oder konzentrieren sich auf zweifelhafte Repräsentanten, wie die Diskussion um das Wirken des vielbeschworenen ‚Retters‘ Hans Calmeyer gezeigt hat.

 

Nazi-Kundgebung Osnabrück Ledenhof

Nazi-Kundgebung Osnabrück Ledenhof

Wir versuchen, an historischen Stätten einen kritischen Einblick in die allgegenwärtige Verfolgung, Drangsalierung, Erfassung und „Arisierung“, Vertreibung und Vernichtung wie auch auf die Täterinnen und Täter zu geben sowie auf Kontinuitäten hinzuweisen.

Erklärung der Geschichtswerkstatt regionale Täterforschung Osnabrück zur Vertreibung des Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (DIZ) aus der Gedenkstätte Esterwegen vom 19. Juni 2023

Gegen die Kündigung – für den Erhalt des DIZ Emslandlager

Mit Bestürzung haben wir erfahren, dass dem DIZ durch die politischen Instanzen des Landkreises Emsland in Person des Landrats und Vorsitzenden der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen Marc-André Burgdorf (CDU) das Büro in der Gedenkstätte kurzfristig gekündigt worden ist.

Dieses Vorgehen sehen wir besonders irritiert an, nachdem wir erst vor kurzem bei einem Besuch der Gedenkstätte Esterwegen direkt die Arbeit des DIZ kennen und schätzen gelernt haben. Wir wurden bei unserer Tagesexkursion von dem Guide Frau Mithöfer, die langjährig im Verein des Aktionskomitees für ein DIZ Emslandlager e. V. aktiv ist, empfangen. Es schloss sich ein ausführlicher und engagierter Vortrag über das System der Emslandlager und die Präsentation Auf den Spuren der Moorsoldaten an. Detailliert wurden die im Emsland verteilten Strafgefangenen- und Kriegsgefangenenlager, ihre geplante Einrichtung und Verwaltung, die wechselvolle Belegungsgeschichte, Biografien, Lageralltag und Formen der Selbstbehauptung, die zeitgenössischen Reaktionen aus der Bevölkerung und des Auslandes wie auch die wirtschaftliche Bedeutung der Zwangsarbeit vorgestellt. Weiterhin wurden die Nachkriegsgeschichte, die Umwidmung mit verschiedenen Funktionen des ehemaligen Lagers und das ‚Verschwinden‘ der Lagerfriedhöfe thematisiert.
Es schloss sich eine rege Diskussion mit Nachfragen auch über die Entstehung und Arbeit der Initiative des DIZ, die Möglichkeiten der Archivarbeit vor Ort und ein Erfahrungsaustausch an. Nach einer kurzen Pause wurden wir bei einem Rundgang über das Außengelände geführt. Hier standen die Architektur und Details des Lageraufbaus im Fokus. Abschließend konnten wir die verschiedenen Abteilungen der Dauerausstellung der Gedenkstätte und den Büchertisch erkunden.

Der Besuch hat uns eindringlich die Dimension des regionalen Terrors vor der Haustür unter örtlicher Osnabrücker Beteiligung von Behörden und NS-Tätern vor Augen geführt. Zu Bemängeln ist ausdrücklich die schlechte Anbindung der Gedenkstätte an den öffentlichen Nahverkehr. Hierdurch ist die Erreichbarkeit wesentlich eingeschränkt und mit hohen Kosten verbunden, was für einen Besuch abschreckend wirkt.
Aus unseren Erfahrungen in der Gedenkstätte bleibt es mehr als unverständlich, dass nun diese wertvolle Bildungs- und Vermittlungsarbeit durch die Entziehung ihrer Arbeitsmittel behindert wird. Die Arbeit des DIZ dient dem Begreifen der frühen Konzentrationslager als eines der zentralen Terrorinstrumente des Nazi-Systems, ihrer Rolle als eliminatorische Kriegsgefangenenlager und innerhalb der NS-Kriegswirtschaft.
Besonders die nun erschwerte Nutzung des umfangreichen Archivs, in dem sich zahlreiche Zeugnisse der Häftlinge und eine umfangreiche Bibliothek befinden, die durch die reiche Erfahrung und Arbeit der DIZ-Mitarbeiter:innen nutzbar gemacht wurde, beschädigt ein mehr als 40jähriges demokratisch-antifaschistisches Engagement. Es führt zurück in die Anfänge des DIZ, das sich seit seinem Entstehen und seiner Gründung 1985 zuerst mit dem anti-kommunistischen Ressentiment, der konservativ politisch-bürokratischen wie auch der wissenschaftlichen Ignoranz und schließlich der offensiven staatlich-institutionellen Gedenkvereinnahmung durch eine gelenkte Musealisierung erwehren musste und wieder muss. Dies ist umso desaströser, da Rassismus und Antisemitismus von Parteien verbreitet und von der Bevölkerung begierig aufgegriffen werden, um sich auch gewalttätig zu äußern. In dieser Konstellation scheinen der Landkreis Emsland und seine Entscheidungsträger:innen ihre Chance zu sehen, sich die Früchte einer Arbeit einzuverleiben, deren Produzent:innen sie nun los werden wollen.

Wir fordern die Bereitstellung aller notwendigen Mittel für die Förderung und Unabhängigkeit der Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit des DIZ.
Besucht die Gedenkstätte Esterwegen! Unterstützt das DIZ! Teilt seinen Unterstützungsaufruf!

90. Jahrestag der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933

Zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 haben wir damit begonnen eine temporäre und mobile Wandzeitung zusammenzustellen. Die Beiträge sind im Durchgang an der Alten Münze 12 an der Außenfassade des Café Mano Negra, geöffnet Freitags ab 15 Uhr, gegenüber des AStA-Eingangs plakatiert.

Anhand von Texten, Dokumenten und Bildern werden die Etappen der Verfolgung von jüdischen, kommunistischen und sozialistischen, pazifistischen und liberalen Schriftstellerinnen und Schriftstellern wie auch Künstlerinnen und Künstlern vorgestellt. Sie begann nicht erst mit der Machtübergabe an die Nazis am 30. Januar 1933 und fand ihre weitere Verschärfung, etwa die Organisierung der Bücherverbrennungen, die die Deutsche Studierendenschaft am 10. Mai 1933 durchführte. Vorausgegangen waren aber auch die Reichstagsbrandstiftung am 28. Februar1933, ein Fanal des Terrors gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten, der Boykott gegen die jüdische Bevölkerung am 1. April 1933, ein Auftakt für die folgenden Pogrome und die Auflösung und Ausraubung der Gewerkschaften.

Der erste Teil der Wandzeitung beleuchtet Planung und Ablauf der „Aktion wider den undeutschen Geist “, wie die Deutsche Studentenschaft ihre Massenaktion nannte. Versammelt werden Stimmen von antifaschistischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die etwa in Berlin die Propagandaaktion beobachteten. Es schließt sich die Verschärfung des Nazi-Terrors an deutschen Hochschulen und die damit verbundene antisemitische und rassistisch-völkische Kontinuität wie auch die Kriegsmobilisierung an deutschen Universitäten an. Bereits in der Weimarer Republik fanden immer wieder Angriffe gegen Intellektuelle statt, etwa den Statistik-Professor Emil J. Gumbel oder den Hannoveraner Philosophen Theodor Lessing, der im Exil von Nazis ermordet wurde.

Weitere Stationen der Wandzeitung sind die NS-Schrifttumspolitik mit der Kontrolle und Lenkung des NS-Buchmarkte s und seiner Institutionen, Gegenaktivitäten wie etwa die Geschichte der Büchergilde Gutenberg sowie aktuelle internationale Beispiele von Bücherzensur und -verbot. Die Frage der aktuellen Erinnerung an das „Todesurteil“ gegen die deutsche Literatur und ihre Produzent:innen, wie es der exilierte Schriftsteller Alfred Kantorowicz kurz nach der Befreiung in der frühen Dokumentation verboten und verbannt 1947 nannte, schließt sich an.

Wir verstehen die Wandzeitung als einen Beitrag zu einer Aktualisierung der Nazi-Geschichte mit ihren vielfältigen konservativ-nationalistischen Vorläufen und bis in die Gegenwart reichenden Kontinuitäten.

Das Vergessen der Austreibung und Ermordung von verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftstellern zeigt sich auch am lokalen Beispiel. Die Stadt Osnabrück bezeichnet auf der Homepage die NS-Zeit der Stadtbücherei pauschal als „kulturelle[n] Kahlschlag“ und verweist sodann auf „die nahezu totale Zerstörung“ der Bücherei. Hiermit sind wohl die alliierten Luftangriffe gemeint, die eine der militärischen Voraussetzungen waren, Nazi-Deutschland besiegen zu können. Besonders die öffentlichen Büchereien beteiligten sich aktiv an den Bereinigungen und Aussonderungen des Buchbestands. Aber auch das Verhalten und die Reaktionen der Büchereileitungen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleibt für die späten Nachfahren und Besucher*innen im Dunkeln.

Die folgenden Teile der Wandzeitung beschäftigen sich mit den inhaftierten und teilweise später exilierten Schriftstellern in den emsländischen Konzentrationslagern, den mit

Osnabrück und seinem Umland verbundenen geflüchteten Autor:innen und stellen schließlich Querköpfe des vielstimmigen Exilkosmos vor.

Kritik wie auch weitere Beitragsvorschläge, Ergänzungen und Kommentare bitte per Mail an: geschichtswerkstattos@riseup.net

Orte nationalsozialistischer Gewalt – Kritischer Stadtrundgang, Freitag, 04.11.2022, 16:00 Uhr

Orte nationalsozialistischer Gewalt – Kritischer Stadtrundgang

Ausgehend vom Osnabrücker Schloß – einem zentralen Gebäude der Uni – stellen wir wesentliche Orte der NS-Stadtgeschichte in einem Rundgang vor. Bisher stecken die Untersuchungen zur Zeit des Nationalsozialismus und seinen Folgen in Osnabrück in den Anfängen oder sie konzentrieren sich auf zweifelhafte Repräsentanten, wie die Diskussion um das Wirken von Hans Calmeyer gezeigt hat.

Nazi-Kundgebung aus dem Ledenhof, Osnabrück

Wir versuchen dagegen an historischen Stätten einen kritischen Überblick über die allgegenwärtige Verfolgung, Drangsalierung, Erfassung und Arisierung, Vertreibung und Vernichtung, wie auch auf die Täter*innen zu geben und auf die vielfältigen Kontinuitäten hinzuweisen.

Der Rundgang findet am Fr. 04.11.2022 zwischen 16:00 bis ca.18:00 Uhr statt.
Treffpunkt: Café Mano Negra, Alte Münze 12, gegenüber dem AStA

Organisiert vom Café Mano Negra & der Geschichtswerkstatt regionale Täterforschung Osnabrück im Rahmen der Kritischen Erstiwochen 2022 der Linken Hochschulgruppe die Kleinen Strolche

Heinrich Bogula (1903–1976) – Antifaschist und Spanienkämpfer

Emil Heinrich Bogula wird am 23. August 1903 in Osnabrück als Sohn des Stuckateurs Heinrich Bogula geboren. Bei seiner Geburt wohnen die Eltern in der Osningstraße 3, 1905 ziehen sie in die Jahnstraße 13 um.

KPD und Ruhrgebiet

Weitere Spuren der Familie Bogula in Osnabrück konnten bisher nicht recherchiert werden. Heinrich Bogula verschlägt es in den 1920er Jahren in die Ruhrgebietsmetropole und Arbeiter*innenhochburg Dortmund. Er arbeitet als Schlosser und ist zu dieser Zeit politisch sehr aktiv: Gleichzeitig Mitglied der KPD, des Roten Frontkämpferbund (RFB), einer Schutz- und Verteidigungsorganisation der KPD in der Weimarer Republik, sowie der Roten Hilfe. Gewerkschaftlich ist er in der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) organisiert, die ein Gegengewicht zu den Freien Gewerkschaften bildet.

Faschismus und Haft

Sein Engagement und seine Parteizugehörigkeit bringen ihn nach der Machtübergabe an den deutschen Faschismus in die Fänge des politischen Gegners. Zwischen April 1933 und November 1934 wird er im Polizeigefängnis Dortmund, der sogenannten Steinwache, inhaftiert, die auch als „Hölle Westdeutschlands“ bekannt wird. Sie gehört zu den berüchtigten frühen Nazi-Folterstätten.

Flucht aus Nazi-Deutschland

Nach seiner zwischenzeitlichen Entlassung flieht Bogula in das Saargebiet, das seit dem Ende des Ersten Weltkrieges unter dem Mandat des Völkerbundes und unter französischer Verwaltung steht. Im Januar 1935 votiert die Bevölkerungsmehrheit in einer Abstimmung für den Anschluß an Nazi-Deutschland. Nun muß Bogula wie viele andere Verfolgte erneut fliehen. Er geht nach Frankreich und wird dort mehrmals inhaftiert, vermutlich weil er illegal ohne Papiere unterwegs ist und als unerwünschter Ausländer gilt.

Spanien – Revolution und Krieg

Von Paris aus scheint Bogula seine Fahrt nach Spanien angetreten zu haben, zunächst mit dem Ziel, an der Arbeiter*innenolympiade in Barcelona teilzunehmen, die für Mitte Juli 1936 als Protest- und Gegenveranstaltung zu den Olympischen Spielen in Nazi-Deutschland geplant ist. Sie wird jedoch kurz nach ihrem Beginn durch den Putsch der Militärs und ihrer Unterstützer*innen am 18. Juli 1936 abgebrochen. Die überwiegend in der Arbeiter*innenbewegung organisierten Teilnehmer*innen schließen sich aus Solidarität der katalanischen Bevölkerung an, die den Putschist*innen bewaffnet entgegen tritt. Die von den putschenden Militärs besetzten Kasernen werden gestürmt, Barrikaden zur Sicherung errichtet. Der Putsch kann dort und in weiteren Regionen nach heftigen Kämpfen zurückgeschlagen werden.

Der Sieg der Republik stellt die seit Längerem ungelöste soziale Frage in Spanien wieder auf die Tagesordnung. Die mehrheitlich in der anarchistisch-syndikalistischen CNT (Confederación Nacional del Trabajo) organisierten Landarbeiter*innen und Proletarier*innen bemächtigen sich der Betriebe und der staatlichen Institutionen. Gleichzeitig behaupten sich die Putschisten in einzelnen Regionen. Sie bedrohen, durch Nazi-Deutschland und das faschistische Italien politisch unterstützt, überdies mit Kriegsmaterial und Truppen verstärkt, die republikanischen Zentren des Landes. Hiergegen bilden die Arbeiter*innenorganisationen antifaschistische Milizen, um den Aufstand zu niederzuschlagen.

Milizen: Kolonne Durruti

Heinrich Bogula schließt sich, trotz seiner kommunistischen Zugehörigkeit, der anarchistischen Kolonne Durruti an, die nach dem Metallarbeiter und Anarchisten Buenaventura Durruti (1896–1936) benannt ist. Sie zieht am 23. Juli 1936 zu der am Ebro gelegenen aragonesischen Stadt Zaragoza, die sich in der Hand der Militärputschisten befindet. Die Kolonne Durruti, der auch eine internationale Gruppe mit deutscher Beteiligung beitritt, kann jedoch trotz verlustreicher Belagerung die strategisch wichtige Stadt nicht einnehmen. Bogula gehört somit zwischenzeitlich zu den rund 250 deutschen Freiwilligen, die auf Seiten der CNT und FAI (Federación Anarquista Ibérica) kämpfen.

Internationale Brigaden

Das von den Gewerkschaften und Parteien im Sommer 1936 aufgebaute Milizsystem wird bald wieder staatlich zentralisiert. Die ausländischen Freiwilligen werden, sofern sie nicht ausdrücklich in einer spanischen Einheit bleiben wollen, in den im Oktober 1936 aufgestellten Internationalen Brigaden zusammengeführt.

Heinrich Bogula ist nun in der ersten Internationalen Brigade organisiert, der 11. Brigade. Er gehört dem Thälmann-Bataillion an, das nach dem in Nazi-Deutschland inhaftierten Vorsitzenden der KPD Ernst Thälmann (1886–1944) benannt ist.

Bogula ist an den Kämpfen um Madrid (Winter 1936) und bei Teruel (Dezember 1937 bis Ende Februar 1938) beteiligt. Zuletzt soll er im Rang eines Oberleutnants gestanden haben und politischer Kommissar einer Kompanie gewesen sein. Bogula bleibt trotz des durch den Druck der faschistischen Interventionsmächte erzwungenen offiziellen Rückzugs der Internationalen Brigaden im Oktober 1938 in Spanien. Bis Mitte März 1939 ist er an der Verteidigung Kataloniens und den damit verbundenen verlustreichen Rückzugskämpfen am Ebro, dem ‚Zweiten Einsatz‘ der Internationalen Brigaden beteiligt. Mehrfach verwundet, verlässt er Spanien als staatenloser Flüchtling.

Flüchtling und Gefangener in Frankreich

Ähnlich wie mehrere Tausend seiner Genossin*innen ist Bogula der Willkür der französischen Armee und Polizei ausgeliefert, die die Flüchtlinge in Südfrankreich in einer „Zone der Ungewißheit“ auf Ödlandflächen konzentriert und inhaftiert. Dort entstehen Lager, die von den Gefangenen unter widrigen Bedingungen selbst errichtet werden müssen, um ihr Überleben organisieren zu können.

Er ist in mehreren dieser Lager gefangen, zuerst nahe der spanisch-französischen Grenze in dem Internierungslager in Argelès-sur-Mer, darauf in dem Sammellager Gurs, einem camp semi-répressifs für zu überwachende Ausländer*innen in Südwest-Frankreich. Dort sind im Juni 1939 über 15.000 gefangene Spanienflüchtlinge und Kämpfer*innen der Internationalen Brigaden interniert, darunter ca. 1.200 Deutsche und Österreicher*innen. Im Sommer 1940 befindet sich Bogula schließlich in Le Vernet, einem südlich von Toulouse gelegenen ‚camp disciplinaire’ der französischen Polizei für in Frankreich „unerwünschte Ausländer. Unter ihnen befindet sich auch der Spanienreporter und Schriftsteller Arthur Koestler. Von dort wird Bogula in das Geheimgefängnis des Vichy-Regimes mit der Tarnbezeichnung Baraque 21 in Castres bei Toulouse verschleppt. Auch hier befinden sich ebenfalls zahlreiche Spanienkämpfer*innen.

Die Unterzeichnung des deutsch-französischen Waffenstillstandsabkommen am 22. Juni 1940 bedeutet für die inhaftierten deutschen Flüchtlinge, daß sie auf Verlangen der deutschen Reichsregierung nach Nazi-Deutschland ausgeliefert werden können (Artikel 19). Der Norden Frankreichs ist von deutschen Truppen besetzt, während die Südhälfte von dem mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regime verwaltet wird. Die Flüchtlingslager sind oftmals das Ziel von Fahndungen und Durchsuchungen durch die Gestapo (Geheime Staatspolizei), die politische Flüchtlinge und Gegner*innen aufzuspüren hofft.

Zwischenzeitlich veröffentlicht der Deutsche Reichsanzeiger am 23. August 1940, daß Heinrich Bogula „der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustigt“ erklärt wird. Die Gestapo fahndet, wie in ihrem Verzeichnis der „flüchtigen Kommunisten und Marxisten“ 1937 und 1938 aufgeführt, nach ihm.

Kommunistische Internationale und die Spanienkämpfer*innen

Zwischen 1939 und 1941 werden die Personalakten, die in der Basis der Internationalen Brigaden (IB) in Albacete über die Teilnehmer*innen am Krieg in Spanien angelegt wurden, von der Kaderabteilung der exilierten Spanischen Kommunistischen Partei (PCE) und der Kommunistischen Internationale (Komintern, KI) in Moskau ausgewertet. Der Leiter der Spionageabwehr der IB, der deutsche Kommunist Gustav Szinda (1897–1988), verwendet in seinen Charakteristiken nicht nur biografische Angaben und Einschätzungen, sondern bewertet – überwiegend in denunziatorischer Weise – die Persönlichkeiten der Kämpfer*innen.

In seinem Memorandum vom 2. Februar 1940 über Heinrich Bogula heißt es u. a., er sei nicht Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen, da er im Exil „1934 aus der KPD wegen Unterschlagung ausgeschlossen“ worden sei. Im Juli 1936 sei er nach Spanien gekommen und habe der Kolonne Durruti angehört. Militärisch sei über ihn „nichts bekannt“. Er habe sich „längere Zeit in Barcelona herum[getrieben]“. Während der Kämpfe „des Mai-Putsches der POUMisten“ zwischen den verschiedenen politischen Parteien auf der republikanischen Seite „gehörte [er] den Terroristen und Verbrecherkreis an“, welche einen republikanischen Kommandanten erschossen haben sollen. Bogula sei „ein degeneriertes Element, welches aller verbrecherischen Schandtaten fähig“ sei. Bei ihm sei „auch weiterhin äusserste Vorsicht am Platze“.

Auslieferung – Odyssee im Universum der Konzentrationslager

1942 wird Heinrich Bogula vom Vichy-Regime an die Gestapo ausgeliefert und in Paris inhaftiert. Im August 1943 wird er in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Er erreicht am 27. August 1943 als „Schutzhäftling“ Nr. 50546 das Lager. Anfang September wird er in das in den Vogesen gelegene Konzentrationslager Natzweiler/Struthof transportiert. Dort werden die Häftlinge sowohl in den nahe gelegen Steinbrüchen zur Zwangsarbeit eingesetzt, sie werden aber auch in über fünfzig Außenlagern in Südwest-Deutschland von der SS an ‚kriegswichtige‘ Unternehmen ausgeliehen. Im November 1944 wird das Konzentrationslager Natzweiler/Struthof wegen der Erfolge der militärischen Offensive der Alliierten aufgelöst.

Ein Teil der Gefangenen wird auf Todesmärschen erneut in das Konzentrationslager Dachau gezwungen, das Bogula im September 1944 erreicht. Ab Mitte Januar 1945 wird er der XIII. SS. Bau-Brigade zugewiesen, die in einem „KZ auf Schienen“ in bewachten Eisenbahnwaggons am Bahnhof Limburg an der Lahn inhaftiert waren. Sie müssen unter Lebensgefahr während der alliierten Luftangriffe zerstörte Gleisanlagen reparieren. Ende Januar befindet er sich erneut auf einem Transport in den Süden Deutschlands, wiederum in das Konzentrationslager Dachau und seiner zahlreichen Nebenlager.

Befreiung und Leben in der DDR

Ende April 1945 wird Heinrich Bogula von heranrückenden Einheiten der US-Armee befreit. Im Mai 1946 zieht er aus der amerikanischen Besatzungszone in Bayern in die am nördlichen Rand des Erzgebirges gelegene sächsische Bergbaustadt Freiberg, die zu dieser Zeit unter sowjetischer Verwaltung steht. Bogula ist wegen seiner Verwundungen aus dem Krieg in Spanien, der Zeit in den französischen Internierungslagern, in den deutschen Konzentrationslagern und der dort abzuleistenden Zwangsarbeit in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Er wird zwar zum stellvertretenden Leiter der Kreispolizei in Freiberg ernannt, befindet sich jedoch im Gesundheitsurlaub. Zwischenzeitlich arbeitet er auch als Organisationsleiter der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Weimar. Er ist in der VVN organisiert und Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die aus dem Zusammenschluss von SPD und KPD im sowjetischen Besatzungsgebiet hervorgeht. Von Januar bis Juli 1947 befindet sich Bogula in Wismar.

1950 stellt er an den Osnabrücker Hilfsausschuß für politische Gefangene und deren Angehörige einen Antrag auf Unterstützung. Der Kreissonderhilfsausschuß Osnabrück-Stadt, der auch für die Anerkennung von Haftentschädigungen zuständig ist, kommt in seiner Sitzung vom 21. Dezember 1950 zu dem Ergebnis, daß Heinrich Bogula keinen Anspruch auf Hilfszahlungen habe, da er nicht mehr in Osnabrück gemeldet sei.

Ab Mai 1951 ist Bogula beim Thüringschen Landesvorstand der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft beschäftigt, erkrankt aber erneut. Zwischenzeitlich wird ihm der Status als Opfer des Faschismus aberkannt, 1958 wird er „wegen unmoralischen Verhaltens“ aus der SED ausgeschlossen.

Das weitere Leben von Heinrich Bogula ist – soweit bekannt – von erneuten häufigen Ortswechseln gekennzeichnet, die ihn von Weimar (1951) nach Karl-Marx-Stadt (1956) und schließlich nach Pasenow im Kreis Strasburg (1966 bis 1970) führen.

Heinrich Bogula stirbt am 9. Juli 1976 im Alter von 73 Jahren in Mildenitz im Kreis Strasburg in der Uckermark.

Quellen und Literatur:

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (SAPMO)

Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Osnabrück

Deutscher Reichsanzeiger, Nr. 197, 23.08.1940

Werner Abel, Enrico Hilbert: „Sie werden nicht durchkommen“. Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution. Bd. 1. Lich: Edition Av, 2015, S. 75.

Michael Uhl: Die internationalen Brigaden im Spiegel neuer Dokumente. In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz (IWK) 1999, Nr. 4, S. 486-518.

 

Die  Biografie von Heinrich Bogula wurde zuerst im Rahmen der Ausstellung UPTHEREPUBLIC. Literatur und Medien im Spanischen Krieg (1936–1939) vorgestellt, die vom 23. November 2006 bis zum 31. Januar 2007 in der Universitätsbibliothek der Universität Osnabrück statt fand. Sie wurde jedoch nicht in den die Ausstellung begleitenden Katalog aufgenommen. Der obige Text ist eine überarbeitete Fassung.

Für Anmerkungen verweisen wir auf unsere Mail-Adresse.