Kurt Gosdek (94), 1923 in Ostpreußen geboren, genießt seinen Ruhestand als Pensionär. Er lebt, mit Blick auf den Teutoburger Wald, im beschaulichen Provinzstadtteil Alt-Georgsmarienhütte bei Osnabrück. Hier gehört er zu den Gründungsmitgliedern des „Sozialverbands Deutschland“ (SoVD), 2007 wird er für sein 60-jähriges Vereinsjubiläum geehrt. Weitgehend unbekannt ist allerdings sein früheres Leben als ehemaliges Mitglied einer mobilen SS-Einheit im ukrainischen Teil der damaligen Sowjetunion. Dort war er an Massentötungsaktionen der SS-Einsatzgruppe C beteiligt.
Die SS-Einsatzgruppen – Einleitung des Holocaust
Diese Einsatzgruppen waren Mordkommandos, die vor der Errichtung der Vernichtungslager und Todesfabriken, wie Auschwitz, Treblinka, Sobibor und weiteren, den Holocaust einleiteten. Die Einsatzgruppe C bestand aus 700 Männern, die in motorisierten Unterkommandos ein großes Gebiet durchkämmten. Sie ermordeten bereits zwischen Mitte 1939 bis 1941 besonders die jüdische Bevölkerung, aber auch Sinti und Roma, Behinderte und vermeintliche oder tatsächliche bolschewistische Kommunist_innen. Kurt Gosdek gehörte diesem Mordkommando der Waffen-SS an. Die Einsatzgruppe C ermordete bis Ende 1941 ca. 95.000 Menschen, darunter mindestens 33.770 Juden am 29. und 30. September 1941 in der Schlucht von Babi Jar in Kiew.
Von nichts gewusst…
Einem Fernsehteam des RBB (Magazin Kontraste, 28.09.2017), dass ihn vor kurzem mit den Verbrechen konfrontiert, erzählt er, dass er nur LKWs repariert habe, von den Hinrichtungen nichts mitbekommen habe, weder gehört noch gesehen. Diese Schutzbehauptung ist von Historiker_innen zurückgewiesen worden, da alle Mitglieder der Einheiten an den Mordaktionen beteiligt waren. Die Unterlagen zu seiner Einheit, die möglicherweise konkrete Beweise hätten liefern können, habe er kürzlich vernichtet, weil sich keiner dafür interessiert habe, so die Behauptungen des Pensionärs, der für seinen SS-Dienst nach wie vor eine monatliche Rente erhält.
Täter_innen bleiben unbehelligt
Zudem kann sich Gosdek der Unterstützung durch die Öffentlichkeit sicher sein. Allein schon sein hohes Alter wird als Argument dienen, einmal mehr die Forderung nach einem Schlußstrich unter sämtliche Naziverbrechen zu bekräftigen. Die Blutspur der Täter findet, sofern diese überhaupt bekannt sind und namentlich genannt werden, keine Beachtung. Es gibt bis heute keine systematische Erforschung und Dokumentation der Nazi-Geschichte dieser gewöhnlichen (Friedens-)Stadt und des mit ihr eng verbundenen Landkreises. Der ehemalige SS-Mann ist in die Mitte der Gesellschaft integriert. Seine Biographie steht für viele andere, etwa das verstorbene Mitglied der Elite-Einheit „Division ,Hermann Göring‘“ Ferdinand Osterhaus aus Osnabrück oder den Kriegsverbecher Theodor Saevecke, der in Bad Rothenfelde seinen beschaulichen Lebensabend weitgehend ungestört verbrachte.
Teilnahme und Unterstützung – Beihilfe zum Massenmord
Mittlerweile reicht für ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft jedoch auch die Beihilfe zu Mordtaten, wie die Gerichtsverfahren gegen Oskar Gröning, John Demjanjuk und seit kurzem gegen einen ehemaligen SS-Soldaten aus Nordstemmen (Landkreis Hildesheim) verdeutlichen. Durch Recherchen des Simon-Wiesenthal-Centers ist den Justizbehörden der Fall Gosdek bereits seit 2014 bekannt. Er gehört zu einer Gruppe von ca. 80 Personen, denen vorgeworfen wird, an Massentötungen direkt beteiligt gewesen zu sein oder diese unterstützt zu haben.
Mangelnde Aufarbeitung
Trotzdem bleiben die Anklagebehörden im Fall Gosdek bisher untätig; Polizei oder Staatsanwaltschaft haben ihn bislang nicht vernommen. Hoffen sie nach den Jahrzehnten der Untätigkeit – immerhin war die postnazistische Justiz ein Hort ehemaliger Nazi-Eliten – nun erneut auf die biologische Lösung, die eine Anklageerhebung erübrigt? Ist das kurze Strohfeuer der juristischen Aufarbeitung bereits wieder erloschen? Nicht zuletzt unter Berücksichtigung des jüngsten politischen Rollbacks und der Wahlerfolge der nationalistisch-rassistischen AfD, deren Kandidat_innen ihre Wähler_innen auch mit dem Verweis auf die „saubere Wehrmacht“ und gegen „Erinnerungsschandmale“ zu den Wahlurnen ziehen konnten. Immerhin ist mittlerweile gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Anzeige erstattet worden.
Georgsmarienhütte und Osnabrück kehren ihr Engagement zur Erinnerung und Aufarbeitung der NS-Geschichte immer wieder gerne hervor, etwa zur Zwangsarbeit in der Region in der Erinnerungsstätte Augustaschacht. Sie befindet sich in direkter Umgebung zu Gosdeks Haus, doch die Täter und Mörder sind unter uns. Wir fordern ein Ende dieses deutschen Normalzustands, in dem nicht einmal das Mindeste geschieht: Die Anklage gegen Kriegsverbrecher_innen.
Nichts ist vergeben – Nichts ist vergessen! Keine Ruhe den Nazi-Täter_innen!
Kundgebung: Sa. 18.11.2017
Oesede: 13 Uhr, Roter Platz
Alt-Georgsmarienhütte: 14 Uhr, Im Steinbruch
Gemeinsame Anreise aus Osnabrück: 12:15 Uhr, Rosenplatz